die woche in berlin
: die woche in berlin

Die Stadt bekommt gleich zwei neue Erinnerungsorte – und erkämpft haben sie Initiativen aus der Zivilgesellschaft. Bei der Berliner Polizei fliegt die nächste rechte Chatgruppe auf. Und die massiv steigenden Coronafallzahlen stellen uns vor die Frage, ob Berlin schon die Kontrolle verloren hat – und wer die zweite Welle jetzt noch aufhalten kann

Denkmäler von unten, die bisher fehlten

Gedenkorte für „Trostfrauen“ und gegen Polizeigewalt

Gleich zwei neue Denkmale haben diese Woche in Berlin für Furore gesorgt. In Moabit mahnt die als Friedensstatue bezeichnete Bronzefigur einer koreanischen „Trostfrau“, die von der japanischen Armee im Pazifikkrieg versklavt wurden, gegen sexualisierte Kriegsgewalt. In Kreuzberg auf dem Oranienplatz erinnert eine Stele für die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt an die Toten rassistischer, polizeilicher Zwangsmaßnahmen und symbolisiert den Protest gegen Praktiken wie Racial Profiling.

Den Mahnmalen ist gemeinsam, dass sie von AktivistInnen aus der Zivilgesellschaft aufgestellt wurden – und dass unklar ist, ob sie stehen bleiben können. Die InitiatorInnen sind völlig unterschiedlich vorgegangen und es ist offen, wer von ihnen erfolgreich sein wird. In Moabit hat der eingetragene Berliner Verein Korea Verband schon vor Monaten eine Sondergenehmigung zum Aufstellen der Statue beantragt. Gutachten wurden beigebracht – und schließlich hat sich die bezirkliche Kommission für Kunst im Straßenraum für die Statue ausgesprochen. Daraufhin hat dann das Bezirksamt Mitte eine Sondergenehmigung für ein Jahr erteilt.

In Friedrichshain-Kreuzberg haben anonyme AktivistInnen der Gruppe #woistunserdenkmal aus dem mutmaßlichen Umfeld der Organisation Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) in einer Nacht- und Nebelaktion das Denkmal einfach auf den Oranienplatz gestellt. Nachträglich versuchen sie nun in der Bezirksverordnetenversammlung einen Beschluss zum Verbleib der Stele herbeizuführen. Dem Vernehmen nach soll es dafür Chancen geben.

In Moabit hat das Bezirksamt auf Druck der rechtskonservativen Regierung Japans die Genehmigung schnell widerrufen. Tokio hat zwar seine Kriegsverbrechen formal anerkannt, will aber nicht an sie erinnert werden, weshalb es weltweit solche Friedensstatuen bekämpft. Erst als der Korea Verband gegen die Anordnung von Mitte vor Gericht zog, entschied der grüne Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel, das Mahnmal könne bis zur Gerichtsentscheidung bleiben. Er erklärte, vielleicht mit verklärtem Blick auf vermeintliche asiatische Harmonie: „Wir wünschen uns einen Kompromissvorschlag, der den Interessen des Korea Verbands sowie den Interessen der japanischen Seite gerecht werden kann. Es wäre begrüßenswert, das Mahnmal so zu gestalten, dass alle Beteiligten damit leben können.“

Seitdem fragen sich viele, was das heißen soll, wo Japankenner davon ausgehen, dass Tokio nie einem Mahnmal zustimmen wird, das an Schicksal und Mut der „Trostfrauen“ erinnert. So kann sich in Kreuzberg wohl auch kaum jemand ein Denkmal gegen rassistische Polizeigewalt vorstellen, das auch dem rechtspopulistischen Polizeigewerkschafter Rainer Wendt gefällt. Meist drücken Denkmale das Denken von oben aus oder den jeweiligen Zeitgeist des Mainstreams. Denkmale, die keine Steine des Anstoßes sind, sind vielleicht Kunst, aber regen nicht zum Nachdenken an. Sven Hansen

Alle hätten Alarm schlagen müssen

Weitere rechte Chatgruppe in der Berliner Polizei wird bekannt

Auch die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) hat nun einen Chatgruppen-Skandal. Ausgebildet werden dort Anwärterinnen und Anwärter für den gehobenen Polizeidienst. Es ist ein schwacher Trost, dass der Hinweis diesmal aus den eigenen Reihen kam. Einer oder eine der Studierenden hat – wenngleich spät – Meldung gemacht. Eigentlich hätten alle in der Gruppe sofort Alarm schlagen müssen. Wer Hakenkreuze postet und den Holocaust leugnet, und auch wer dazu schweigt, hat nichts in der Polizei zu suchen.

Im Unterschied zu der anderen Berliner Polizeigruppe, die laut des ARD-Magazins „Monitor“ jahrelang im normalen Dienst rechtsextreme Chats getauscht haben soll, sind die Studierenden allesamt bekannt. 26 Personen sollen der Gruppe angehört haben. Gegen sieben hat die Staatsanwaltschaft am Mittwoch ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingeleitet. Einem Beschuldigten wird die Verbreitung von Tierpornografie vorgeworfen.

Der Fachbereich Polizei an der HWR gilt im Bundesvergleich als ausgesprochen fortschrittlich. Den Lehrkräften wird nach gesagt, in der Mehrheit liberal-rechtsstaatliche Positionen zu vertreten. Die Vermittlung der Grund- und Menschenrechte nähmen viel Raum im Stundenplan ein, mit Amnesty International unterhalte man eine Kooperationspartnerschaft, heißt es.

Nach Informationen der taz sind die Beschuldigten im zweiten Semester. Weil sie im Frühjahr, als die Pandemie ausbrach, an die Hochschule kamen, fand ihr Unterricht fast ausschließlich online statt. Die Möglichkeiten für eine kritische Auseinandersetzung waren deshalb begrenzt. Dass sie sich untereinander in einer Chatgruppe vernetzten, um allgemeine Informationen auszutauschen, war von der Uni explizit gewünscht. Aber es wäre verfehlt, die Schuld für die Memes und Nachrichten mit menschenverachtenden Inhalten bei den Beschränkungen durch die Coronapandemie zu suchen.

Auch anderswo im Bundesgebiet sind Polizei-Azubis schon in Chatgruppen durch rechte Gesinnung aufgefallen. Von den vielen anderen Vorfällen, die sich in den deutschen Sicherheitsbehörden zunehmend häufen ganz zu schweigen. Über die Gründe wird gerade viel und kontrovers diskutiert. Liegt es an einer mangelhaften Auslese beim Auswahlverfahren? Inwieweit begünstigen Faktoren wie Frustration, Überforderung und dauerhafter Einsatz in Problemgebieten, dass Beamte im Laufe ihrer Berufszeit die nötige Distanz verlieren und ins rechte Lager abdriften? Wird Rechtsextremismus und Rassismus durch die Struktur der Polizei befördert?

Bezeichnend ist: Selbst in einer Studierendengruppe, die erst ein halbes Jahr existierte, war der Korpsgeist schon so stark, dass es zunächst niemand wagte, sich aufzulehnen. Über dieses Phänomen sollte sich nicht nur der Fachbereich Polizei an der HRW dringend Gedanken machen. Plutonia Plarre

Für Resignation bleibt jetzt keine Zeit

Die Coronafallzahlen in Berlin explodieren

Seit einer Woche ist die Hauptstadt offiziell Risikogebiet. Das überschattet nicht nur die Herbstferien, was gewiss zu verschmerzen ist. Es verursacht auch ein Unbehagen, das in gewisser Weise dem aus dem Frühjahr in nichts nachsteht. Ein Unbehagen, das befeuert wird durch Bilder und Nachrichten aus Neukölln, wo die Infektionszahlen höher liegen als überall sonst in Deutschland. Und wo die Verantwortlichen in Gesundheitsamt und Bezirksamt verzweifelt versuchen, „wieder vor die Lage zu kommen“ und gleichzeitig bezweifeln, dass das überhaupt noch möglich ist.

Die Labore schaffen es auch nicht mehr, Zehntausende von Coronatests zeitgerecht auszuwerten, die Kapazitäten sind nicht nur ausgeschöpft, sondern überschritten. Ist es diese Woche, von der wir später sagen werden, da ist die Lage gekippt?

Manches spricht dafür. Der Umstand zum Beispiel, dass die Fallzahlen, auf die wir alle schauen und die die Politik zum Handeln veranlassen – siehe Sperrstunde, Beherbergungsverbot, erweiterte Maskenpflicht –, im Grunde schon ein Hinterherlaufen hinter dem Infektionsgeschehen sind. Die Fallzahlen umfassen ja nur die, die bereits wissen, dass sie infiziert sind (und häufig quasi schon nicht mehr infektiös sind).

Das Dilemma der Politik: Ist die Lage bereits ernst, sind zwar Maßnahmen in der Bevölkerung durchsetzbar, aber kommen eigentlich zu spät, laufen den Entwicklungen hinterher. Setzt die Politik dagegen Maßnahmen vorausschauend ein, wird ihre Wirksamkeit zugleich unbeweisbar sein. Das macht sie so schwer durchsetzbar, so angreifbar für Kritiker*innen.

Zeit für Resignation bleibt dennoch nicht. Es ist nicht so, dass der aktuelle Umgang mit Infektionen – Fallermittlung und Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter – alleiniges Maß aller Dinge ist. Tatsächlich ist sie, das machten die stark betroffenen Bezirke in dieser Woche deutlich, nur bis zu einem gewissen Grad überhaupt umsetzbar. Danach bleibt der Bevölkerung nicht die Hilflosigkeit, sondern etwas, was der Charité-Virologe Christian Drosten „Umschalten in einen aktiven Teilnahmemodus“ nennt.

Man könnte auch sagen: Mehr Selbstverantwortung ist gefragt. Die ist schon jetzt erforderlich, wenn Testergebnisse erst Tage später kommen und das Gesundheitsamt mit dem Abtelefonieren der Kontakte nicht mehr hinterherkommt. Sie ist auch erforderlich vor dem Hintergrund, dass laut Gesundheitsämtern bei über der Hälfte der Infizierten keine Infektionsquelle mehr festgestellt werden kann. Man solle am besten selbst abends aufschreiben, wo man am Tag gewesen ist, hat Drosten als Ratschlag gegeben.

Und vielleicht ist es nach dieser Woche tatsächlich Zeit, nicht nur auf Maßnahmen der Politik zu warten, um diese dann im Zweifel bescheuert zu finden und sich als nicht obrigkeitshörig abzugrenzen – sondern sich selbst als aktives Teilchen des Infektionsgeschehens zu begreifen. Das ist eine Form von Aktivität, die auch dem Unbehagen etwas entgegensetzen kann. Manuela Heim

Man könnte auch sagen: Mehr Selbst­verantwortung ist gefragt

Manuela Heim über die Coronalage in Berlin