Corona in Israel: Grünes Licht für Demoverbot

Die Knesset macht den Weg frei für ein Verbot von Massenprotesten gegen die Regierung. Netanjahu kündigt indes eine Verlängerung des Lockdowns an.

Eine Person steht auf einer Brücke und hält eine israelische Flagge in der Hand.

Protest auf einer Brücke in Ein Hemed nahe Jerusalem Foto: reuters

TEL AVIV taz | Nach tagelangen Debatten und zuletzt einer Nachtschicht hat das israelische Parlament am frühen Mittwochmorgen, den 30. September, eine Änderung des Coronavirus-Gesetzes erlassen. Es ermöglicht der Regierung, einen „besonderen Notstand“ zu erklären, wenn sich das Coronavirus zu sehr ausbreitet. Unter dem Notstand könnte die Regierung Menschenansammlungen von über 20 Personen untersagen und es Demonstrierenden verbieten, sich mehr als einen Kilometer von zu Hause zu entfernen. Das Kabinett muss den Notstand jede Woche erneuern.

Die Regierungspartei Likud hatte zuvor gefordert, dass das Verbot von Massenprotesten auch nach Aufhebung des derzeit herrschenden landesweiten Lockdowns in Kraft bleibt. Sie ließ die Forderung jedoch fallen, wohl wegen Widerstands vonseiten des Koalitionspartners Blau-Weiß.

Stattdessen kündigte Regierungschef Benjamin Netanjahu am Dienstag an, der Lockdown werde wahrscheinlich nicht wie geplant innerhalb von weniger als einem Monat aufgehoben. Möglicherweise werde es „noch viel länger dauern“. Voraussichtlich werden auch für diese Zeit die Proteste eingeschränkt sein. Ursprünglich sollte der strikte Lockdown am 11. Oktober enden.

Genaue Bedingungen für eine Aufhebung des Lockdowns nannte Netanjahu nicht. Die Entscheidung basiere „nicht auf einem Zeitrahmen, sondern vielmehr auf der Anzahl der Infizierten und anderen Faktoren“. Der Regierungschef hatte zuvor in einem auf Facebook veröffentlichten Video die Proteste als „das ganze Problem“ bezeichnet. Infektionszahlen, um seine Behauptung zu untermauern, legte er nicht vor.

Autokonvoi vor der Knesset

Am Dienstag waren Anti-Netanjahu-Demonstranten aus Protest gegen das geplante Gesetz in einem Autokonvoi vor die Knesset gefahren. Sie riefen „Demokratie oder Meuterei“ und warfen dem Regierungschef vor, er verfolge mit dem Lockdown vor allem das Ziel, die Proteste gegen ihn zu beschränken.

Seit dreieinhalb Monaten demonstrieren teils Zehntausende mehrmals wöchentlich vor Netanjahus Amtssitz in Jerusalem. Sie fordern Netanjahus Rücktritt wegen seines Korruptionsprozesses und seines Versagens in der Coronakrise.

Außerdem protestierten Demonstrant*innen am Dienstagabend und in der Nacht landesweit an Kreuzungen, Brücken und auf öffentlichen Plätzen gegen die Gesetzesänderung. Ihre Wut richtete sich nicht nur gegen Netanjahu, sondern auch gegen dessen vormaligen Kontrahenten, nunmehr Koalitionspartner, Benny Gantz vom Bündnis Blau-Weiß, von dem sich viele verraten fühlen.

Tausende bei Gottesdienst

Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete derweil, dass einige Synagogen in Jerusalem an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, von Sonntagabend bis Montagabend in großem Maßstab die Regelungen missachtet hätten.

Im Innenraum der Belz-Synagoge, einer der größten des Landes, sollen sich mehrere tausend Gläubige zum Gottesdienst versammelt haben. Niemand soll eine Maske getragen haben. Synagogen hatten trotz harscher Kritik von Expert*innen die Erlaubnis erhalten, unter Auflagen für Jom Kippur die Tore zu öffnen.

Israel hat am Dienstag die Schwelle von insgesamt 800 schweren Covid-19-Fällen überschritten. Diese Zahl wurde im August als rote Linie angesetzt, jenseits derer das Gesundheitssystem nicht mehr in der Lage sein würde, Patient*innen angemessen zu behandeln.

Das Land hat mittlerweile eine höhere Infektions- und Sterblichkeitsrate als die USA, Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und Südkorea. Der bisherige Höchstwert an täglichen Neuinfektionen wurde am vergangenen Freitag mit 8.153 neuen Coronafällen gemeldet.

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