Computer in der Architektur: Als die Maschinen denken lernten

Eine Schau in der Münchner Pinakothek der Moderne zeichnet die Geschichte des Computers in der Architektur nach.

Simuliertes Bild einer sehr bunten, sehr lebendigen Straße

Ausschnitt aus Keiichi Matsuda, Hyper-Reality, 2016 Foto: Architektur Museum

Langsam fährt eine Kamera durch glatte, leere Straßenzüge, ruckelt zwischen quadratischen Gebäudewürfeln hindurch, bewegt sich im Sinkflug durch Häuserfluchten und schwenkt dann in einen blassblauen Himmel: „Cornell in Perspective“ (1969–1972), eine Simulation des 1934 geborenen US-Wissenschaftlers Donald P. Greenberg, ist eins der ersten architektonischen Computermodelle überhaupt. Es zeigt die erste mittels einer Software gerenderte Animation eines Stadtteils. Ein früher Vorläufer von Google Streetview.

Gemeinsam mit zwei Mitarbeitern hat Kuratorin Teresa Fankhänel im Rahmen eines von der Gerda-Henkel-Stiftung geförderten Forschungsprojekts über die Dauer von zwei Jahren mit Archiven und privaten Sammlern weltweit Kontakt aufgenommen und rund 250 Exponate und 40 Fallstudien zusammengetragen, die nun in der Ausstellung „Die Architekturmaschine“ in München gezeigt werden.

Einige Stücke konnten erstmals für eine öffentliche Vorführung bearbeitet werden – im Fall von „Cornell in Perspective“ bedeutete dies, ein 16-mm-Video zu digitalisieren. Nach Auskunft des Architekturmuseums ist die Ausstellung die erste ihrer Art in Europa, und München sei als Zentrum der Computer-Architektur bewusst gewählt worden, da hier – mit Siemens und Nemetschek – große Partner von Softwarefirmen säßen.

Computer in kreativen Prozessen

Der wissenschaftliche Anspruch nutzt der Ausstellung, aber macht sie nicht allein aus. Die wissenschaftliche Grundlagenarbeit und den konservatorischen Anspruch erahnt man – doch wird dies dem Besucher auf angenehme Art nicht bleischwer in pädagogischen Beschriftungen vor die Füße geworfen. Er darf entdecken.

„Die Architekturmaschine. Die Rolle des Computers in der Architektur“ des Architektur Museums München in der Pinakothek der Moderne läuft noch bis 10. Januar 2021. Der Katalog (Birkhäuser Verlag) kostet 34,95 Euro im Museum und 39,95 Euro im Buchhandel.

Grundlegend verhandelt wird nämlich die Frage, wie sich schöpferisches Arbeiten verändert, wenn Maschinen in kreative Abläufe einbezogen werden. In vier Kapiteln wird am Beispiel Architektur eine Kulturgeschichte der Technik in kreativen Prozessen entworfen: der Computer als Zeichenmaschine, der Computer als Entwurfswerkzeug, der Computer als Medium des Geschichtenerzählens und der Computer als interaktive Plattform.

Die Anfänge werden von den Machern dabei in den Sechzigerjahren gesetzt. Besonders spannend wird es allerdings dann ab den Neunzigern, wenn das Internet und damit die Digitalisierung private Haushalte erreicht, und der Computer dienstlich nicht mehr nur als Zeichenmaschine, sondern als „intelligenter Designpartner“ (Fankhänel) genutzt werden soll.

Die große Hoffnung dieser Zeit sei zum einen eine Demokratisierung des Entwerfens gewesen – mit entsprechend simplen und kostengünstigen Computerprogrammen konnten nun auch Laien Grundrisse für Häuser zeichnen – und zum anderen eine Verbesserung der Kommunikation der an der Entstehung eines Gebäudes beteiligten Gewerke.

Von diesem hehren Ideal, räumt die Kuratorin ein, sei man allerdings bis heute „meilenweit entfernt“. Neben zahlreichen architektonischen Modellen versammelt die Ausstellung Skizzen der Leuchtturmprojekte namhafter Architekturbüros – etwa Greg Lynn FORM (USA), John und Julia Frazer (UK), Reiser + Umemoto (USA), Itsuko Hasegawa (JPN), Asymptote Architecture (USA), SHoP Architects (USA) und Atelier Oslo (NOR) – sowie Modelle, Simulationen und Rechenmaschinen.

Der digital entworfene Siemens-Pavillon wurde gebaut

Der von Ludwig Rase und Georg Nees entworfene Siemens-Pavillon (1970) auf der Hannovermesse ist gleich in mehreren Zeichnungen und Simulationen abgebildet, als eines der ersten digital entworfenen Gebäude, die tatsächlich auch gebaut wurden.

Von den hehren Idealen ist man bis heute weit entfernt

Die silbern irisierende BMW Bubble (1999) von Franken/Architekten für die IAA in Frankfurt am Main – die zwei ineinanderfließende Wassertropfen versinnbildlichen sollte – sieht man sowohl als sorgfältig gestecktes Modell wie als ein von einem damals nahezu unerschwinglichen 3-D-Drucker ausgespucktes, liegendes, leuchtendes gelbes Barbapapa.

Im Kapitel Interaktion steht eine überarbeitete Version von You+Peas Computerspiel „London Developers Toolkit“ (2020), mit der Besucher Wolkenkratzer für die britische Metropole designen können. Eine detaillierte Timeline stellt die Entwicklung von Architektur- Softwareprogrammen dar. Ein Schaukasten schlägt die Brücke ins Heute mit verschiedenen Computer- und Zeichenmäusen. Eine Wandaufreihung präsentiert kommerzielle Simulationscomputerspiele bis hin zu den Sims.

Und ein Modell zeigt die aus heutiger Sicht beinahe rührende Hoffnung früher Visionäre, wie sich Architekturbüros mit dem suspekten Kasten möglicherweise auch entwickeln könnten: clean, organisiert, blendend weiß und aufgeräumt. Das Foto daneben trägt der Realität der neunziger Jahre Rechnung: Papierfahnen, daneben Ordner, dahinter Bücherstapel, dazwischen Lampen und Kabelwirrwarr, an der Wand ein Kino-Poster von „Der Feind in meinem Bett“ – und mittendrin, vergleichsweise verloren, ein Architekt.

Man möchte den Architekten tröstend streicheln

In einer Zeit, in der Bots menschliche Kommunikation teilweise schon ersetzen, Videocalls an die Stelle von Treffen treten und Chaträume Telefonate überflüssig machen, möchte man ihn streicheln.

So macht gerade dieses Foto eindrücklich, dass es menschliche Eigenheiten gibt, die wohl niemals von Maschinen übernommen werden können: Fantasie zum Beispiel. Oder Neugier. Und von ebenjenen Eigenschaften profitiert auch diese Schau am meisten.

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