Pekings aktionistische Impfstoff-Diplomatie

Vier führende Covid-Impfstoffkandidaten sind in China entwickelt worden. Obwohl die Produkte noch in der Testphase sind, werden sie bereits hunderttausenden Chinesen verabreicht. Nun will das Land auch die weltweite Corona-Impfschutzallianz Covax unterstützen

Aus Peking Fabian Kretschmer

Wer sich in China durch die sozialen Medien klickt, bekommt den Eindruck, dass die Zulassung eines Impfstoffs unmittelbar bevorsteht. Auf einem Handyvideo meldet sich etwa der Student Zhu Aobing zu Wort: „Ich bin Nummer neun der ersten Freiwilligengruppe. Bereits am 19. März habe ich einen Impfstoff injiziert bekommen“, sagt der Chinese aus Wuhan, dem einstigen Epizentrum der Pandemie. „Nach sechs Monaten mache ich nun den letzten Bluttest. Ich habe weder Fieber noch Erkältung.“ In den Kommentaren hagelt es Beifall. „Wer Zweifel an dem Impfstoff hat, soll abwarten, bis er im Ausland erprobt wurde“, schreibt ein Nutzer, „aber ich denke, wenn China nicht wirklich etwas Erfolgreiches erschaffen hätte, würde es nicht solche Behauptungen aufstellen.“

Die Behauptungen der Regierung klingen in der Tat vielversprechend. Wu Guizhen vom chinesischen Zentrum für Seuchenprävention kündigte an, im November oder Dezember werde eine Impfung bereitstehen. Dabei handelt es sich um zwei Produkte des Unternehmens Sinopharm aus Schanghai, die derzeit in den Arabischen Emiraten, Bahrain, Peru und Argentinien getestet werden. Quantitativ steht China damit vorn: Von weltweit rund einem Dutzend Impfstoffkandidaten, die für finale Feldstudien zugelassen wurden, sind vier in China entwickelt worden.

Doch offenbar will die Staatsführung nicht bis zur Marktzulassung warten. Seit Juli hat sie bereits drei Impfstoffe zur sogenannten Notfallanwendung genehmigt. Zunächst wurde vor allem medizinisches Personal geimpft, später Manager staatlicher Unternehmen und auch Journalisten und Mitglieder der omnipräsenten Nachbarschaftskomitees.

Auch wenn etwa Sinopharm behauptet, dass sich bislang keiner der zehntausenden Probanden in China mit dem Virus infiziert hat, macht es die entsprechenden Daten nicht zugänglich. Von der wissenschaftlichen Gemeinschaft wird Chinas Impfstoff-Wettrennen deshalb mit großer Skepsis beäugt. Denn es kann nicht unabhängig überprüft werden, wie sicher und effizient die Impfstoffe wirklich sind.

Abgesehen davon kommt die Frage nach dem Export hinzu. „Die Anzahl der in China verfügbaren Dosen wird bei weitem zu gering sein, um den Export zu ermöglichen“, sagte der deutsche Virologe Klaus Stöhr kürzlich dem Fachmagazin Nature, „es sei denn, es wird eine politische Entscheidung getroffen, Impfstoffe ins Ausland zu schicken.“ Am Freitag nun hat Pekings Außenministerium eine solche Entscheidung verkündet: China habe sich der globalen Covax-Initiative angeschlossen, mit der die gerechte Verbreitung billiger Impfstoffe gefördert werden soll.

Für die Kommunistische Partei ist es wichtig, sich in der aktuellen geopolitisch fragilen Situation als verantwortungsbewusste Staatsmacht zu präsentieren – eine Rolle, die die USA, die sich gegen die Covax-Ini­tiative entschieden haben, derzeit nicht ausfüllen. Zudem sieht sich China dem Vorwurf ausgesetzt, Fragen über die Vertuschungen zu Beginn der Pandemie in Wuhan zurückzudrängen. Bis heute verweigert Peking eine unabhängige Aufklärung der Frage, ob die Ausbreitung zu verhindern gewesen wäre.

Die aktuelle Infektionsstatistik indes gibt China Rückenwind: Seit fast zwei Monaten haben die Gesundheitsbehörden keine lokale Ansteckung registriert.