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„Kann Spuren von Kinderarbeit enthalten“

Viele Menschen tun sich schwer, ihren guten Willen zum nachhaltigen Konsum in die Praxis umzusetzen, sagt Jacob Hörisch. Eine neu entwickelte Handy-App könnte dabei helfen

Geht einen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit: Secondhand-Mode Foto: Ole Spata/dpa

Interview Leonie Theiding

taz: Herr Hörisch, kaufen Sie durch Ihre grüne App weniger Kleidung?

Jacob Hörisch: Ja, definitiv. Es ist das erste Ziel, was ich mir als Nutzer setze, wie viel Kleidung ich im Monat maximal kaufen möchte. Für viele Probleme bezüglich der Nachhaltigkeit gilt: Konsumverzicht ist die umweltverträglichste Variante.

Und wieso braucht es dafür eine App?

Weil viele es nicht schaffen, ihr nachhaltiges Wohlwollen in die Tat umzusetzen. Wir stellen deswegen eine Übersicht an Informationen bereit, mit denen Nutzer:innen sich auseinandersetzen können, um persönliche Ziele festzulegen. Wenn ich also meinen Konsum verringern will, dann ist das so ein Ziel. Außerdem weist die App auf vertrauenswürdige Nachhaltigkeitssiegel, nachhaltige Online-Plattformen und Shops hin. Das generelle Aufklären darüber, dass diese nachhaltigeren Einkaufsmöglichkeiten existieren, ist uns wichtig. Außerdem arbeiten wir mit „Gamification“: Wenn ich meine Ziele erreiche, gibt es Pluspunkte; wenn ich mir anspruchsvollere Ziele setze, dann bekomme ich dafür noch mehr Punkte.

Gamification“? Also spielend lernen?

So ungefähr. Nutzer:innen können auch ihre Freunde einladen und gegen diese in der integrierten Green-Fashion-Challenge antreten.

Ist nachhaltiger Konsum nicht ein Selbstläufer, weil Öko im Trend ist?

Das ist eben das Kernproblem, denn viele Menschen setzen sich nachhaltige Ziele, können sie aber nicht einhalten. Da setzt unsere App an: bei dem Intention-Behaviour-Gap, also der Lücke zwischen Ziel und tatsächlicher Praxis. Ungefähr 75 Prozent der Konsumenten:innen in Deutschland wollen nachhaltig konsumieren; der Markt für ökologisch und sozial zertifizierte Mode macht jedoch nur ein bis vier Prozent des Umsatzes in der Textilindustrie. Das heißt, dass die Menschen es nicht schaffen, ihr Verhalten ihren Zielen anzupassen.

Liegt das nur daran, dass das Know-how fehlt, um die eigenen Nachhaltigkeitsziele umzusetzen, oder sind Klamotten mit Nachhaltigkeitssiegeln einfach teurer?

Über diesen Aspekt haben wir uns natürlich auch Gedanken gemacht, aber unsere Forschung hat anderes gezeigt. Preissensiblere Konsumenten:innen kaufen nicht weniger nachhaltige Kleidungsstücke ein. Was jedoch einen Einfluss auf das Kaufverhalten hat, ist, wenn Menschen prinzipiell dazu bereit sind, online einzukaufen. Denn dann kaufen sie durchschnittlich nachhaltiger ein, weil sie eine größere Auswahl vorfinden.

Wie sieht nachhaltiger Modekonsum noch aus?

Der hat viele Facetten, nicht nur die Konsummenge, auch der Herstellungsprozess der Textilien, der ökologisch und sozial verträglich sein sollte, ist wichtig. Oft vergessen die Leute, dass auch sie aktiv an dem Nachhaltigkeitslevel ihres Konsums beteiligt sind: Wenn sie statt mit dem Auto mit dem Fahrrad zum Einkaufszentrum fahren, wenn sie die online bestellten Klamotten nicht zurückschicken, wenn sie ausgemistete Kleidung zu einem Secondhand-Shop bringen.

Welche Ziele setzen sich die Nutzer:innen der App?

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Jacob Hörisch

33, ist Juniorprofessor an der Leuphana-Universität Lüneburg und Mitentwickler der „Green Fashion Challenge“-App für nachhaltigen Konsum.

Also, da die App erst im September online gegangen ist, haben wir noch nicht unendlich viele Daten. Bis jetzt ist das durchschnittliche Ziel, 2,46 Kleidungsstücke im Monat zu kaufen. Das sind knapp 30 Kleidungsstücke im Jahr. Im Vergleich dazu ist der deutschlandweite Durchschnitt pro Jahr ungefähr 60 Kleidungsstücke.

Wie sind Sie denn auf diese App gekommen?

Wahrscheinlich, weil ich auch eine Intention-Behaviour-Gap bei mir selbst feststellen kann. So etwas denkt sich ja niemand aus, der sich schon perfekt verhält. Außerdem ist mir sehr wichtig, dass sichtbar wird, wo überall Kinderarbeit drin steckt. Wir schaffen es ja auch, auf jede Snackpackung draufzuschreiben „Kann Spuren von Erdnüssen enthalten“. Wenn wir es schaffen würden, auf jedes nicht sozialverträgliche Kleidungsstück drauf zuschreiben: „Kann Spuren von Kinderarbeit enthalten“, dann hätten wir ein ganz großes Problem weniger.

Wo kann ich mir die App herunterladen?

Unsere App wird nicht in App-Stores angeboten. Weil wir unseren hohen Datenschutzrichtlinien gerecht werden wollen, ist das nicht möglich. Aber unter green-fashion.app kann sie runtergeladen werden.