Roman „Homeland Elegien“: Vordringen ins Herz der USA

Ayad Akhtars erzählt vom Aufwachsen in den USA als Sohn pakistanischer Einwanderer. Sein Buch bietet virtuose, gallenbittere Amerikakritik.

Fahndungsplakat für Osama Bin Laden in einem Schaukasten am New Yorker Times Square

Von Islamfeindlichkeit nach 9/11 bis zu Donald Trump reicht der Erzählbogen bei Akhtar Foto: imago

„Klassisches Geschichtenerzählen“ – damit erklärt der Autor und Ich-Erzähler Ayad Akhtar einmal beim Abendessen seinem Vater Sikander den Erfolg von Donald Trump: „Je länger der Mittelteil ist, desto besser ist die Geschichte. […] Das Publikum mit einem Konflikt so lange wie möglich bei der Stange zu halten, ohne diesen Konflikt tatsächlich aufzulösen – das ist wahre Meisterschaft.“

An dieser Stelle sind die „Homeland Elegien“ schon über 400 Seiten vorangeschritten, der Mittelteil neigt sich dem Ende zu. Auch Ayad Akhtar ist ein Meister der Konfliktausdehnung, und der Streit zwischen Vater und Sohn über Donald Trump gehört unbedingt dazu.

„Homeland Elegien“ beginnt beinahe komödiantisch damit, wie Vater Akhtar, ein renommierter Kardiologe, den derzeitigen Präsidenten der USA kennenlernte, „als beide Mitte vierzig waren […] und nach einem finanziellen Ruin wieder auf die Beine kamen“. Trump, der nach einem seiner Bankrottgänge eine Herzrhythmusstörung entwickelt hatte, wurde damals an den Spezialisten Akhtar überwiesen.

Nachdem er den Arzt einmal versetzt hat, gewinnt er ihn in einem Telefonat für sich, indem er respektvoll nach der Aussprache seines pakistanischen Namens fragt und sich – it must be fiction! – für den geplatzten Termin entschuldigt. Doch es ist mehr als dieses nächtliche Gespräch, das Vater Akhtar und Trump verbindet – und den Arzt auch Jahre später zum Entsetzen des Sohns dem republikanischen Outsiderkandidaten seine Stimme geben lässt.

Einwandererkind und Einheimischer

Mit seinem zweiten Roman, „Homeland Elegien“, erzählt Ayad Akhtar die US-amerikanische Geschichte der letzten Jahrzehnte noch einmal neu als seine eigene. Es ist eine virtuose, gallenbittere Amerikakritik aus der Perspektive des Sohns pakistanischer Einwanderer, der jedoch nicht den geringsten Zweifel daran lässt, dass er selbst ein Einheimischer ist.

Er will vordringen zu jenem Kern der USA, den er seine ehemalige Collegedozentin Mary Moroni in einer „Ouvertüre“ verraten lässt: Amerika habe als Kolonialmacht begonnen und sei es bis heute geblieben, definiert durch Plünderung, „ein Ort, wo Bereicherung vorrangig und die bürgerliche Ordnung nur ein Nebengedanke sei“.

Ayad Akhtar: „Homeland Elegien“. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Claassen, Berlin 2020, 462 Seiten, 24 Euro

Obwohl Akhtar vor allem der „Wunsch, sich zu erinnern“, treibt, sei sein Roman aber noch lange nicht autobiografisch: „Ich gehöre zu den Schriftstellern, die Tatsachen verdrehen müssen, um sie desto deutlicher sehen zu können.“

Ayad Akhtar, geboren 1970 in New York, wuchs in Wisconsin auf. Während der Vater, ein begeisterter Neuamerikaner, in den Reagan-Jahren sein erstes Vermögen scheffelte und wieder verlor, lebte seine Mutter mit halbem Herzen weiter in der alten Heimat – auch weil sie wohl lieber den religiösen Latif geheiratet hätte, der dort als Arzt die Mudschaheddin im Afghanistankrieg unterstützte.

Hybrid aus Essay, Fiction und Memoir

Die widersprüchlichen Haltungen der Eltern prägen auch den Sohn, spiegeln sich noch in der Romanform wider: Erzählerisch sind die „Homeland Elegien“ ein irritierend unterhaltsamer Hybrid aus Essay, Fiction und Memoir, von dem aus Akhtar immer wieder abschweift, sei es zu Blasphemie im Islam, Theorien der Deregulierung oder dem Zustand amerikanischer Universitäten.

Der Materialismus des Vaters und die spirituelle Verwurzelung der Mutter in der muslimisch-indischen Kultur wiederholen sich in Akthars Leben – und in seiner Kunst, von der er allerdings erst nach einer langen Durststrecke während der Nullerjahre leben kann. Sein Broadway-Erfolgsstück, „Disgraced“ (die Übersetzung „Geächtet“ lief auch auf vielen deutschsprachigen Bühnen), spielt im liberalen New Yorker Bürgertum, wo sich gut verdienende Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und Religion auf den ersten Blick bestens verstehen.

Doch die Fassade bröckelt, bis der Protagonist, der topintegrierte Anwalt Amir, irgendwann zugibt, am 11. September sogar Stolz auf die Angreifer empfunden zu haben. Im Roman führt Ayad Akhtar diese Reaktion auf seine Mutter zurück: eine Gelegenheit, weit in die (post-)koloniale Geschichte Pakistans auszuholen.

Gleichzeitig grenzt er sich deutlich von der traditionellen muslimischen Kulturkritik an den USA ab. Die offenen Diskriminierungen, denen er aufgrund von Namen und Hautfarbe nach 9/11 ausgesetzt ist, wiegen jedoch schwer: Direkt nach den Anschlägen bedroht ihn ein White Supremacist in der Schlange zum Blutspenden so heftig, dass der Erzähler sich buchstäblich in die Hosen macht; 2010 überweist ihn ein rassistischer Polizist an seinen Cousin, einen betrügerischen Kfz-Mechaniker, der Akhtar Tausende von Dollar aus den leeren Taschen zieht.

Drei Jahre später sind Akthars Taschen voll. Zum einen, weil er nach der Auszeichnung mit dem Pulitzerpreis für „Disgraced“ gut im Geschäft ist. Zum anderen, weil er kurz zuvor die Bekanntschaft des muslimischen Hedgefondsmanager Riaz gemacht hat – und mit seiner eigenen Gier. Riaz zieht ihn von der Seite der Schuldknechte auf die der Schuldenhändler: Ein entscheidender Anlagetipp für das Geld, das ihm seine gerade gestorbene Mutter vererbt hat, füllt schon bald Akhtars Kasse.

Aber vielleicht ist Riaz, der am liebsten 15.000-Dollar-Whiskeys trinkt, auch nur ein fiktiver Anlass für Kapitalismuskritik im Geist David Graebers:

„Was jetzt wuchs, waren nicht Gemeinden oder Wirtschaften, sondern das Kapital selbst […]. Schulden definierten gesellschaftliche Realitäten, sie beeinflussten oder erzwangen Entscheidungen, die das Leben der meisten Zeitgenossen betrafen: den Wohnraum, die Gesundheit, die Ausbildung und die Zukunftsaussichten der Kinder und seit Neuestem auch […] den Zugang zu den Apparaten, die den Löwenanteil unserer Wahrnehmung ermöglichten.“

Auch der schwarze Hollywoodagent Mike, mit dem Akhtar sich nach dem Broadway-Erfolg zum Essen verabredet, gehört einer Minderheit an, deren Aufstieg im US-Kapitalismus nicht wirklich vorgesehen ist: Die Konzernautokratie, zu der sich (nicht nur) die USA entwickelt hat, ist weiß.

Gesellschaftsanalyse zwischen Politik und Kunst

Mittlerweile, meint Mike, beute sie aber Schwarze und Weiße gleichermaßen aus, daran habe auch Obama, den er nicht gewählt hat, nichts geändert. Zyniker wie Riaz und Mike akzeptieren deshalb das System als unzerstörbar, sind seine radikalen Apologeten geworden.

Das großartige, überaus finstere Kapitel „Pottersville“, in dem Akhtar die Geschichte von Mikes Vater, der die Deregulierungspolitik Robert Borks umsetzte, elegant mit nächtlichen Beobachtungen zu Frank Capras Kultweihnachtsfilm „Ist das Leben nicht schön?“ (1946) verbindet, endet desillusioniert an einem grauen New Yorker Morgen: „Ich würde neue Worte, eine neue Sprache finden müssen, kältere Klänge und Bedeutungen.“

Ob Ayad Akhtar wirklich, wie er hier behauptet, aufgehört hat, auf sein hoffnungsvolles Herz zu hören? Oder ist das nur wieder eine der Verdrehungen, die die Wahrheit umso schärfer zeigen sollen? Seine mitreißend zwischen allen Seiten der divided nation hin und her wechselnde Gesellschaftsanalyse endet jedenfalls auf einem Podium seiner alten Universität mit einem Gespräch über Politik und Kunst – und einem trotzigen Bekenntnis zur Heimat Amerika.

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