Katrin Seddig
Fremd und befremdlich
: Der ÖPNV wird teurer, gerade wo er am schlimmsten ist

Foto: Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Letzte Woche erlebte ich tatsächlich einmal eine Fahrscheinkontrolle im Bus mit. Wie sich herausstellte, hatte außer mir und einer weiteren Person niemand eine Fahrkarte. Der Bus war nicht voll, aber immerhin acht Leute mussten aussteigen. Es gab ja über einen längeren Zeitraum keine Kontrollen mehr, haben die Leute es sich jetzt abgewöhnt? Oder haben so viele von dem Angebot Gebrauch gemacht, die Monatskarte stillzulegen und fahren jetzt trotzdem?

Ich sehe in Hamburg derzeit ein massives, alle Verkehrsmittel umfassendes Verkehrsproblem. „Die Leute fahren sehr aggressiv“, erzählt mir eine Freundin, die selbst Autofahrerin ist. „Man muss sehr aufpassen. Sie sind auch sehr unaufmerksam, liegt vielleicht an Corona.“ Auch die Hamburger Radwege sind für den derzeitig angestiegenen Radverkehr mehr so was, wie ein Seil für einen Elefanten. Ein Strom von Fahrrädern drängt sich, schiebt sich, behindert sich, auf viel zu schmalen Streifen durch die Stadt. Nur wer kein Auto und kein Fahrrad hat, nimmt den HVV.

Denn im HVV ist es aus verschiedenen Gründen im Moment recht unangenehm. Verschiedene Gründe, die zu den alten verschiedenen Gründen noch hinzukommen. Ich bin so eine Frau, die den HVV immer noch nutzt. Ich erlebe, wie die Menschen ähnlich aggressiv Bahn oder Bus nutzen, wie sie Auto fahren. Sie halten sich nicht an die Regeln, treten aggressiv auf, schreien herum, hören laut Musik, tragen natürlich keine Maske oder am Arsch, essen Döner mit Zwiebeln, sitzen breitbeinig – Männer – und nehmen kaum noch auf irgendwas Rücksicht.

Ist das unsere Zukunft? Dass wir uns, wenn es enger wird, gegenseitig verletzen, beschimpfen, dass die Leute mit mehr Muskeln oder dem größeren Auto, die Schwächeren frustriert überfahren? Muss man sich auf so eine Zukunft einstellen? Ich sitze, da ich dies gerade schreibe, im ICE, mir gegenüber ein muskelstrotzender Mann – nicht der einzige Mann im Abteil, der gar keine Maske trägt – der mich provozierend ansieht, wenn ich in seine Richtung schaue und laut telefoniert. Sind das die neuen Herrscher einer neuen Wirklichkeit? Oder sind sie es schon immer gewesen?

Ich bewege mich in der neuen, gefährlicheren Welt am liebsten zu Fuß. Wenn die Sonne scheint, ziehe ich meine Wanderschuhe an. Auch das nicht immer entspannt, denn der zunehmende Radverkehr, auch auf den Gehwegen, stört tatsächlich beim Gehen. Die Autofahrer, die mir abbiegend die Vorfahrt nehmen, der LKW-Fahrer, der einfach nicht sehen kann, dass ich grün habe. Denn alle sind sie im Stress. Und darum halte ich das Konzept öffentlicher Nahverkehr immer noch für das einzig Sinnvolle in einer Großstadt. Ich halte sogar Sammeltaxis, wie Moia zum Beispiel, für sinnvoll. Sinnvoller, als dass für die Beförderung eines einzigen Menschen anderthalb Tonnen bewegt werden müssen, die – auch ungenutzt – große Teile des öffentlichen Raumes verschwenden.

Noch nie ist mir die Nutzung des Nahverkehrs so unange-nehm gewesen wie jetzt

Ich nutze also den Nahverkehr immer noch, wenn ich nicht laufe oder Rad fahre. Ich kaufe mir eine Fahrkarte und begebe mich in einen ungeschützten Raum, in dem mir andere Menschen sehr nah kommen, Menschen, die aggressiv sind und rücksichtslos, und ich muss das in Kauf nehmen. Ich zahle dafür Jahr für Jahr einen höheren Preis. Noch nie ist mir die Nutzung des Nahverkehrs so unangenehm gewesen, wie jetzt. Aber ich kaufe mir die Fahrkarte und nutze die Bahn, es erscheint mir immer noch richtig.

Und dann das: Der HVV erhöht auch im nächsten Jahr die Gebühren um 1,4 Prozent. Ja, man kann sparen, wenn man ein Smartphone hat. Ich habe kein Smartphone. Monatstickets werden in jedem Fall teurer. Dem HVV fehlt das Geld, weil so viele Leute sich angewöhnt haben, schwarzzufahren, weil viele ihre Monatskarten gekündigt haben und viele den HVV aus Angst um ihre Gesundheit nicht mehr nutzen. Aber – Wir verdienen doch nicht jedes Jahr mehr Geld, im Gegenteil, viele Menschen haben derzeit finanzielle Probleme. Im Moment, wo mir dieser Handyaffe ohne Maske gegenübersitzt, denke ich, es ist ein Drama. Menschen sind für Menschen doch wirklich das größte Problem.