Keine Auferstehung

Der Theaterdiscounter verhebt sich an Henrik Ibsens „Wenn wir Toten erwachen“

Es ist kein Zufall, dass dieses Stück in Vergessenheit geraten ist. Denn Henrik Ibsens dramatischer Epilog „Wenn wir Toten erwachen“ ist nicht leicht auf die Bühne zu bringen. Die Inszenierung im Theaterdiscounter beweist das. Für das sympathische Low-Budget-Theater in einer ehemaligen Fabrikhalle in Mitte sollte es nach einigen zeitgenössischen Stücken und Nachwuchsexperimenten der erste Klassiker sein. Doch der junge Regisseur Sebastian Schlösser hat sich mit seinem vierköpfigen Ensemble an dem schwergewichtigen Ibsen-Text schmerzhaft verhoben.

Er tüncht Ibsens letztes Stück, vor mehr als 100 Jahren geschrieben, in ein bedrückendes Dunkelschwarz. Ein Versuch, Expressionismus und Symbolismus gleichermaßen vorwegzunehmen. Dabei ist „Wenn wir Toten erwachen“ einfach nur eine Suche nach der alten Utopie, dem wahren Leben, in der Ibsen wie in einem Epilog mit seinem eigenen egozentrischen Künstlertum abrechnet.

Der alternde Bildhauer Arnold Rubek, der es mit seiner Skulptur „Auferstehungstag“ zu Weltruhm gebracht hat, sitzt mit seiner jungen Frau Maja an einem skandinavischen Strand. Gelangweilt und frustriert, mehr tot als lebendig: Seit Jahren hat er nichts mehr hervorgebracht. Maja ist von dem Künstlergetue ihres Mannes und ihrem geschehensarmen Dasein angeödet. Als jedoch eine bleiche Dame im Kurort auftaucht, erwacht Rubek zu neuem Leben: Es ist Irene, die ihm einst für seine Erfolgsskulptur Modell gestanden hatte. Maja verguckt sich indes in den grobschlächtigen und erfrischend kunstlosen Bärentöter Ulfheim. Die beiden neuen Paare gehen ins Gebirge – um dort das Leben zu spüren. Rubek und Irene steigen lebenshigh immer höher hinauf und werden beim dramatischen Showdown von einer Lawine in den Tod gerissen.

Im Theaterdiscounter spielt sich die Handlung um ein Klavier herum ab, das auf einer nicht vorhandenen Bühne steht. Der verjüngte Rubek ist hier ein überdrehter, zynischer „Ich bin ein Künstler“-Künstler. Dirk Höner spielt ihn norddeutsch-nuschelnd wie ein Robert Atzorn auf Koks. Wirklich lustig sind Höners Grönemeyer-Imitationen, die für konstant wiederkehrenden comic relief sorgen.

Es stecken einige hübsche Ideen in der Inszenierung. Aber das hilft wenig bei Schauspielern, die selbst nicht an ihre Rollen glauben und sich allzu strikt an einer sinuskurvenartigen Dynamik orientieren: Auf ruhiges Sprechen folgt hektisches Zischen folgt turnusmäßiges Geschrei – ob’s passt oder nicht.

Zum Glück ist Ibsens Text zu gut, als dass er sich so schnell kaputt schreien ließe. Und Meike Schlüter als laszive Irene sticht sowieso positiv heraus: Halbwegs glaubwürdig spielt sie eine moderne Frau, die sich auf dem Weg von Fremdbestimmung zur Emanzipation selbst verloren hat. An ihr wird deutlich, dass die Aufführung nicht daran krankt, dass die wuchtige Sprache Ibsens beibehalten wurde. Vielmehr ist die Konzeption aller Figuren außer Irene schlichtweg misslungen, auch wenn der Bärentöter (Josef Heynert) als Proll in ballonseidener Turnhose und Maja (Franziska Herin) als Sexgeile ganz lustig daherkommen.

Bedauerlich an der Inszenierung im Theaterdiscounter ist zudem der Schluss. Bei Ibsen sterben Irene und Rubek bei ihrem letzten Versuch, leben zu können. Regisseur Sebastian Schlösser spart den Tod aus – sodass irgendwie das Gefühl eines Coitus interruptus beim Showdown bleibt. Damit ist das Einzige, was im Theaterdiscounter überzeugend stirbt, die Hoffnung auf die versprochene Auferstehung. SASCHA TEGTMEIER

„Wenn wir Toten erwachen“: noch vom 28.- bis 31. Juli, jeweils 21 Uhr, Theaterdiscounter, Montbijoustr. 1