Aus dem Ghetto getrabt

Die Projektgruppe Kunstgehege wagt sich raus aus Mitte und rein in den Friedrichsfelder Tierpark: Konzerte, Ausstellungen, Cafébetrieb und Siebdruckwerkstatt treffen hier auf eine fremde Welt

VON JANA SITTNICK

Auf der Bühne sitzt ein Verrückter und spielt Orgel. Dann steht er plötzlich auf, breitet die Arme aus und singt schmetternd den Refrain seines Schlagers: „Weil es Liebe ist.“ Freddy Fischer und die Cosmic Rocktime Band traten im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde auf bei einem kleinen Festival, das so gar nicht in die gewohnt biedere Familienatmosphäre des Tierparks passen wollte. Grund dafür: Die Initiative „Kunstgehege“, eine Gruppe junger Künstler aus Berlin-Mitte, hat sich für die Sommersaison im Tierpark einquartiert, um zu arbeiten, auszustellen und zu feiern.

Schauplatz ist das Café Pony Pedro, ein kleiner, etwas abseits gelegener Würfelbau zwischen Elefantengehege und Freilichtbühne. Mark Thomann hat ihn bemerkt, im letzten Sommer schon, bei einem Tierparkbesuch. „Der Ort hat uns sofort inspiriert“, sagt der 32-Jährige. Thomann und seine Partner fragten bei der Tierparkdirektion nach, reichten ein Konzept zur „temporären Zwischennutzung“ ein, beantragten Sponsorengelder und erhielten den Zuschlag. Im April bekamen die Künstler die Schlüssel und Anfang Mai eröffneten sie ihr Kunstgehege – mit Siebdruckwerkstatt, Ausstellung und Gastronomie. „Wir haben einen Monat lang nur sauber gemacht, gestrichen und verspachtelt“, erinnert sich Sebastian Wagner. „Überall lag zentimeterdick Staub.“ Mittlerweile hat Wagner einen Garten angelegt mit Salat, Tomaten und Basilikum.

Der Café-Kiosk, eine architektonische Flachbau-Merkwürdigkeit aus den Sechzigerjahren, stand lange leer. Noch vor der Wende wurde der Betrieb eingestellt, nachdem die Ponyreitanlage dichtgemacht hatte. Pony Pedro, nach einem Kinderbuch von Erwin Strittmatter benannt, hielt einen Dornröschenschlaf von fast zwanzig Jahren. Daraus ist es hübsch wieder aufgewacht.

Auf dem mit schwarz-weißen Fliesen verzierten kleinen Vorplatz kann man sitzen und Kuchen essen, komischen Bands zuhören oder die orange blühende Kapuzinerkresse in großen Kübeln bestaunen, die das Areal säumt. Im Innern der Würfels ist die Werkstatt untergebracht. „Wir wollen mit unserer mobilen Siebdruckwerkstatt umherziehen“, sagt Mark Thomann, „und dann jeweils mit dem arbeiten, was wir vorfinden. Das hier ist die erste Station.“

Dass es so schwierig werden würde, die Tierpark-Besucher zum Café Pony Pedro zu lotsen, hätten die Initiatoren nicht gedacht. „Um wirklich wahrgenommen zu werden, muss man vielleicht länger da sein als drei Monate“, so Thomann. Es liegt wohl an den unterschiedlichen Welten, die sich hier nicht wirklich berühren: Improvisation und Anleitung zum Selbermachen hier, Tiere gucken und Limo trinken dort. Zum Festival jedenfalls hat sich die Szene überwiegend selbst gefeiert, Freunde und Bekannte der Veranstalter waren gekommen. Immerhin eine Leistung für manche Ghetto-Mitte-Leute.

Thomann und Wagner arbeiten als Grafiker und Webdesigner, mit dem Kunstgehege verdienen sie kein Geld. Finanziert wird das Projekt von der Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE und der Akademie der Künste, der Tierpark stellt das Café mietfrei zur Verfügung. Ende Juli ist mit der Kunstaktion offiziell Schluss, bis September dürfen die Siebdrucker noch in den Pony-Pedro-Räumen bleiben. Danach geht es an neue Orte.

In nur wenigen Tagen entstand, dank Siebdruckschnelligkeit, die Reihe „Sofortbilderbuch“, die in der Ausstellung zu sehen ist. Collagen, Zeichnungen und Digitalfotos der Kunstgehege-Mitglieder, ironische Verweise auf die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier, der Höcker des Kamels, das Einhorn im Nachtflug. Entzückend auch die Tierbilder von Kita-Kindern, Schülern der fünften Klasse und von Gymnasiasten, die im Pony-Pedro-Workshop entstanden sind und demnächst als Buch erscheinen. Die kleine Kimberly hat ein langhalsiges Tier mit Punkten gemalt – es sieht aus wie ein Hochhaus als Giraffe. Das passt: Der Tierpark ist von Plattenbauten umgeben.

Kunstgehege: bis 31. Juli im Tierpark Berlin, Mi.–So. 12–18 Uhr, Abschlussparty am 30./31. Juliwww.kunstgehege.de