So viel Kritik muss sein: Tim Schomacker über Konradin Kunzes „CON5P1R4.CY“ im Moks
: Die Wahrheit ist ein Bonbon

Im neckischen Schafkostüm die Welt erklären Foto: Landsberg/ThB

Rot oder blau? Wir fingern auf Anweisung unter unseren schicken Sesseln herum. Und finden ein Tütchen: zwei Bonbons, eines rot, das andere blau. Das stabilisiere den Schleier der Erscheinungen unseres alltäglichen Lebens, das andere aber sei Wahrheitsserum. Ultimative Entscheidung.

Ich wähle rot, Wahrheit. Klingt spannender. Und entscheide mich so vor allem für den Weg, auf dem ich dieses Theaterstück weitersehe: Mit der Pille wird das Publikum geteilt. Umsteigen ist nicht möglich. Das Ensemble des Moks hat gemeinsam mit Konradin Kunze ein Stück entwickelt, das sich mit Verschwörungsmythen auseinandersetzt und nicht um Corona geht. Sondern um Strukturen der Weltwahrnehmung, der Macht und der Angst.

Aus der Publikumsbegrenzung hat Lea Dietrich eine bühnenbildnerische Tugend gemacht. Und vier separate Tribünen gebaut. Mit je sechs weißen Sesseln. Dazwischen eine schwarz glänzende flache Drehbühne. Darüber eine Mischung aus Segeln und in den Raum gegossenem Splitscreen. Nix Naturalismus, alles Ober- und Projektionsfläche, abstrakter Raum, in dem Nachdenken ausgebreitet wird über eine knappe, durchaus kurzweilige Spielstunde.

In neckische Schafkostüme gewandet choreographiert sich das Schauspieler:innen-Quartett in den Raum, geht schließlich in die Frontale: Direkte Ansprache, vollmundig, die tatsächlich verunsichert. Wird das jetzt persönlich? Muss ich was tun? „Wie werden euch manipulieren; wir werden euch verführen; wir werden euch belügen; wir werden alle Mittel einsetzen, um euch zu überzeugen …“ Ja, das würden wir gerne erleben.

Als Referenz fungiert die Geschichte von Elon Musk, Tesla-Gründer, technikbesessener Unternehmer, schillernde Figur der Globalisierung. Doppelt stimmig. Denn einerseits hat Musks weltweit sichtbarer Satelliten-Konvoi Starlink auch in der norddeutschen Tiefebene für Verwirrung gesorgt. Und zweitens ist das Lesen von Konstellationen am Himmel eine Art Ur-Szene, wenn es um Schicksal, Geheimwissen und Deutungshoheit geht: Dafür genau wird das Publikum aufgesplittet in vier parallele Begründungsszenarien. Wenn man „seinem“ Erzähler lauscht, es geht grad um vermeintliche Raketenfabriken tief unter den neuen Teslawerkstätten überall auf der Welt, und aus dem Augenwinkel mitbekommt, wie eine andere Gruppe auf ihrer Tribüne Dehnübungen auf Anleitung „ihrer“ Erzählerin macht, ist die Widersprüchlichkeit verschwörungsmytischen Erzählmaterials in eine schöne Raumerfahrung übersetzt.

Doch statt die Aufklärung durchgängig so ins Formale zu verlagern, agiert CON5P1R4.CY zunehmend mutlos, geht in einen eher klassischen Dialog, dann ein Datenaccelerando über, listet Beispiele dafür auf, wann, wie und wo sich Verschwörungsmythen in eine Tradition antisemitischer Erzählung einreihen. Dann Black. Inhaltlich nicht falsch. Doch vergisst die Produktion so zugunsten dieser arg didaktischen Auflösung, dass sie angetreten war, uns versuchsweise zu manipulieren.