Osman Engin Die Corona-Chroniken
: Täglich grüßt der Coronatest

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

In den ersten Tagen der Coronapandemie vor sechs Monaten war es relativ einfach, sich täglich testen zu lassen. Danach konnte ich völlig erleichtert nach Hause gehen und meiner Frau und den Kindern die frohe Botschaft verkünden: „Eminanim, Kinder, ich bin heute wieder coronafrei! Na, ist das nicht super?“

Mit der Zeit werden sie aber immer einsilbiger. „Toll“, murmelt Eminanim, die Kinder sagen nicht mal das.

Nachdem ich mir heute Abend wieder drei komplette Nachrichtensendungen, fünf Reportagen und vier Talkshows über Corona-machenschaften reingezogen habe, bin ich felsenfest davon überzeugt, dass ich spätestens morgen todkrank aufwachen werde – weil ich heute mehrmals angesteckt worden bin, wie die Corona-Experten behaupten. In Bussen und Bahnen steckt man sich an, beim Gehen, beim Einkaufen, beim Sprechen, beim Essen, von Joggern, von Fahrradfahrern, von Nachbarn, von Kindern, ja selbst von der eigenen Ehefrau! Nicht zu vergessen: Türklinken, Steckdosen, Einkaufswagen, Papiergeld, Kleingeld und so weiter. Und ich war wieder einmal den ganzen Tag diesen tödlichen Infektionsherden ausgesetzt.

Trotzdem weigert sich der Arzt am nächsten Tag, mich zu testen. „Nur bei sehr dringenden Verdachtsfällen wird getestet. Gehen Sie wieder nach Hause“, nuschelt er völlig gleichgültig hinter seinem medizinischen Rolls-Royce-Mundschutz, der sicher wie eine Festung ist und von dem Normalsterbliche wie ich nur träumen können.

„Allein auf dem Weg bis hierher haben sich die dringenden Verdachtsfälle die Klinke in die Hand gegeben, nur um mich anzustecken“, entgegne ich in der Hoffnung, dass er endlich erkennt, dass es um Leben und Tod geht. Aber vergeblich!

„Wenn Sie zum Beispiel Atemnot hätten, würden wir testen“, nuschelt er wieder ohne jeglichen Respekt vor dem Leben.

„Atemnot ist sicher im Anmarsch“, sage ich.

„Oder bei zu hohem Fieber.“

„Hohes Fieber habe ich nicht, aber Fahrradfahrer, Jogger, Bus, Bahn, Geld, Nachbarn, Türklinken, Einkaufswagen, Essen, Kinder, Ehefrau …“

„Oder wenn Sie einen engen Kontakt mit einem Infizierten hätten“, ist sein letztes Angebot, auf welcher Grundlage ich getestet werden kann.

Wie sagte der Corona-Experte gestern im Fernsehen sehr weise: „Es ist sowohl ein hartes Stück Arbeit als auch ein großes finanzielles Desaster, bei dieser Coronapandemie gesund bleiben zu können.“

Wie wahr, wie wahr!

Jetzt muss ich jeden Tag in langen Internet-Recherchen einen frisch Infizierten ausfindig machen, ihn mit viel Geld dazu überreden, mit mir in engen Kontakt zu treten, und ihn dann mit noch mehr Geld dazu bewegen, dies dem Arzt gegenüber zu bestätigen – nur damit ich wieder einmal getestet werde!