Schweigen nur freiwillig

Schüler*innen fordern eine Gedenkminute zur Erinnerung an die Reichspogromnacht an allen Bremer Schulen. Die Bildungsbehörde findet das zwar eine gute Idee. Verordnen will sie aber nichts

Mit der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 gingen die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen die jüdische Minderheit in Deutschland über. Es brannten Synagogen und jüdische Geschäfte, Wohnungen wurden verwüstet und jüdische Bürger*innen misshandelt.

91 Menschen wurden während der Pogrome im Gebiet des Deutschen Reiches ermordet. In den darauffolgenden Tagen wurden über 30.000 jüdische Männer verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Die materielle Bilanz der Gewalt waren 1.200 niedergebrannte Synagogen und Gebetshäuser und 7.500 zerstörte Geschäfte.

In Bremen brannte das jüdische Gotteshaus im Schnoor, im Stadtteil Sebaldsbrück wurde eine Gebetsstube in Brand gesteckt. In Bremerhaven brannte die Synagoge in der Schulstraße. Zudem standen jüdische Wohnhäuser in Flammen, die jüdischen Friedhöfe in Bremerhaven-Lehe und Bremen-Hastedt wurden geschändet. Fünf Menschen jüdischen Glaubens wurden in der Nacht direkt in ihren Wohnungen getötet.

Von Jan Zier

Am 9. November soll es um 10.15 Uhr an allen Schulen im Land Bremen­ eine Schweigeminute geben – anlässlich der Reichspogromnacht vor 82 Jahren. Das zumindest fordert die Arbeitsgruppe (AG) gegen Antisemitismus des Schulzentrums Rübekamp­ in einem Schreiben an die SPD-Bildungssenatorin Claudia­ Bogedan. Die Resonanz bei Rot-Grün-Rot ist positiv.

Die Initiative wolle damit nicht auf konkrete Vorfälle an der Schule reagieren, sagt Rinah Groeneveld, eine der Schüler*innen aus der AG. „Besonders die in den letzten Jahren­ stark steigenden Zahlen antisemitisch motivierter Übergriffe und der Anschlag auf die Synagoge in Halle machen deutlich, wie wichtig es gerade heute ist, sich eindeutig gegen Antisemitismus und Rassismus zu positionieren“, heißt es in dem Schreiben­ der AG.

Die Reichspogromnacht sei erst durch die „gleichgültige Haltung der meisten deutschen Bürgerinnen und Bürger“ möglich geworden – und doch sitze die AfD mittlerweile im Bundestag. Mit den letzten Zeitzeug*innen dürfe aber nicht auch die Erinnerung an diese Zeit verloren gehen.

„Stattdessen müssen wir als junge Generation erinnern und daraus lernen, um eine Zukunft ohne Hass und Diskriminierung gestalten zu können“ schreiben die Schüler*innen der AG, die gerade in die 13. Klasse gekommen sind.

Deshalb wollen sie nun „ein Zeichen setzen“. Und damit das „möglichst stark ausfällt“, soll die Schweigeminute an allen Bremer und Bremerhavener Schulen und zum selben Zeitpunkt stattfinden, so die Idee. „Wir finden die Initiative sehr gut und richtig“, heißt es dazu aus dem Bildungsressort.

„Eine Schweigeminute sollte aber empfohlen und nicht verordnet werden“, sagt die Sprecherin der Behörde, Annette Kemp. „Wir werden diesen Schritt mitgehen und dafür werben.“ Groeneveld findet eine freiwillige Schweigeminute „auch okay“ – damit habe man gerechnet.

Aber „schade“ sei es doch: Aus ihrer Sicht wäre eine für alle Schulen verpflichtende Gedenkminute „am idealsten“ gewesen. „Die Grüne Fraktion unterstützt selbstverständlich das Anliegen der Schüler*innen“, sagt unterdessen deren bildungspolitischer Sprecher Christopher Hupe.

„Wir haben uns nicht irgendwann zu Ende erinnert und müssen die Erinnerung in unsere heutige Zeit übersetzen, rational und emotional“, sagt die Kulturpolitikerin der Grünen,­ Kai Wargalla.

Diese Rolle füllten die Schüler*innen des Schulzentrums Rübekamp „vorbildlich“ aus. Und SPD-Fraktionschef Mustafa Güngör freut sich, dass der Vorschlag aus der Schülerschaft selbst komme. „Dieses Engagement werden wir unterstützen, wo wir es können“, so Güngör.

Dem Deutsch- und Geschichtslehrer Werner Pfau, der die AG am Schulzentrum Rübekamp betreut, ist wichtig, dass die Aktion nicht nur einen Minute dauert, in der Pause vielleicht. Sondern dass sie auch im Unterricht besprochen und erklärt wird: „Sonst kippt das leicht ins Lächerliche“. Auch Bildungspolitiker Güngör ist wichtig, dass es „nicht bei einer Schweigeminute bleibt, sondern sie pädagogisch begleitet wird“.

Die Bildungsbehörde wiederum will in der Schule nicht nur die Opferrolle­ der jüdischen Bevölkerung­ thematisieren, „sondern auch die Bedeutung jüdischer Intellektueller für Kunst, Kultur und Gesellschaft hervorheben“. Im kommenden Jahr sei deshalb eine Veranstaltungsreihe geplant, verbunden mit dem Jubiläum zum 60. Jahrestag der Eröffnung der neuen Synagoge­ in Bremen.

Entstanden ist die AG gegen Antisemitismus,­ weil eine Kursfahrt nach Krakau, bei der auch ein Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz auf dem Programm gestanden hätte, coronabedingt ausgefallen ist. Stattdessen haben die Schüler*innen dann erst einmal Materialien an die Hand bekommen, erzählt Pfau – daraus entstand dann die AG, die im Mai, nach dem Shutdown,­ das erste Mal live zusammen gekommen ist und sich alle zwei Wochen trifft.

Dort kam dann die Idee mit der Gedenkminute auf. Sie sind „sehr engagiert“, lobt Pfau seine Schüler*innen, er sei „beeindruckt“. Und vielleicht sei es sogar die einzige AG gegen Antisemitismus an einer­ Schule in Bremen, so Pfau.