Neues Album der Fleet Foxes: Höchste Zeit für den Hund

Robin Pecknold haut mit seiner Band Fleet Foxes ein lebensbejahendes Album namens „Shore“ raus. Es ist alles andere als modisch geworden.

Robin Pecknold steht vor einem Vorhang

Vorhang auf: Robin Pecknold Foto: Emily Johnston

Es war die letzte große Stunde des Mannes an der Gitarre, die Folkpop-Welle, die 2008 maßgeblich von zwei Veröffentlichungen angestoßen wurde: Bon Ivers Album „For Emma, Forever Ago“, und dem titellosen Werk der Band Fleet Foxes aus Seattle an der US-Westküste. Beide standen für eine neue Verletzlichkeit, im Sound wie, so schien es, auch im Leben. Der eine hatte ein paar Monate allein in einer Waldhütte verbracht, um über eine unglückliche Liebe hinwegzukommen, und dabei unerhört berührende Songs zustande gebracht.

Fleet Foxes: „Shore“ (Anti/Indigo), https://fleetfoxes.bandcamp.com/album/shore

Die anderen ließen sich Bärte wachsen, schmissen sich in Vintage-Farmerklamotten und sangen im Chor simple Weisen wie das kinderreimartige „White Winter Hymnal“. Mit ihren Wiederholungen und Stimmüberlagerungen entwickelten Fleet-Foxes-Songs hypnotische Kraft. Und sie erweckten beim Hören den Wunsch, alles stehen und liegen zu lassen und in die Natur zu gehen, oder gar ein Handwerk zu erlernen.

Die Sehnsucht, die die Künstler bedienten, war ohne Zweifel auch eine Antwort auf die Brutalität der kapitalistischen Gesellschaft. Das funktionierte nur kurz, dann kippte diese Musik mit Bands wie Mumford and Sons ins Posertum, und die gebrochene Gesangsstimme sprach nicht mehr von inneren Nöten, sie war nur noch modischer Effekt.

Schlecht für die kreative Ader

Fragt man Robin Pecknold, Mastermind und Sänger der Fleet Foxes, heute nach dem Vermächtnis von damals, scheint er aufrichtig überrascht über die Frage der taz: „Ich will gar nicht darüber spekulieren, ob ich schon so etwas wie ein Vermächtnis habe, das wäre schlecht für meine kreative Ader. Ich bin in einer ähnlichen Situation, in der ich war, als wir am Fleet-Foxes-Debüt gearbeitet haben: Ich bin unverheiratet, habe keine Kinder, keinen Hund, kein Haus. Und ich strenge mich noch genauso an wie 2008, um etwas zu erreichen. Ich möchte mich weiter so fühlen, als sei ich auf eine Weise wieder am Anfang von etwas. Aber ja, ich hätte gerne einen Hund.“

Ob das wiederum gut für seine Kreativität sei, wisse er nicht, schiebt der Mittdreißiger noch nach und lacht. Schön, ihn lachen zu sehen. Dass Robin Pecknold etwas verloren wirkt, wie er beim Zoom in seiner New Yorker Wohnung am Bildschirm sitzt, liegt sicher auch daran, dass man über seine Sozialphobie weiß und dass er bereits früher über seine Suizidgedanken gesprochen hat. Pecknold wirkt schüchtern, sehr aufmerksam, fast wachsam auf die Reaktionen seines Gegenübers achtend.

Der US-Künstler hat keinen leichten Stand im Jahr 2020, und er scheint das zu wissen. Berichte von den eigenen Zweifeln und Beschädigungen sind vielleicht das Einzige, was ein aufgeklärtes Publikum von Menschen wie ihm überhaupt noch wissen möchte. Darauf angesprochen, überschlägt sich Pecknold fast: „Als weiße männliche Person kann ich nur versprechen, dass ich so hart arbeiten werde, wie ich kann, um, in den Grenzen meines Geschmacks, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen! Im völligen Bewusstsein meines Privilegs, und dies nicht zu verschwenden oder mich darauf auszuruhen.“

Im Angesicht des Todes

Pecknold sagt dies ohne das geringste Anzeichen von Ironie oder Sarkasmus. Dass er hart gearbeitet hat, glaubt man ihm, wenn er von der Entstehung des neuen Albums „Shore“ berichtet. Angefangen hat er damit vor fast genau zwei Jahren, nach einer Tour mit 170 Auftritten. Er wollte danach keine Pause, hatte sich vorgenommen, etwas Großes zu schaffen: „Ich wollte Musik komponieren, die das Leben feiert im Angesicht des Todes“, schreibt er im Begleittext zu „Shore“.

Das Erbe seiner Vorbilder wie Arthur Russell, Nina Simone und Joao Gilberto (die Liste ließe sich fortsetzen) wollte er weitertragen, sich vielleicht selbst in die Musikgeschichte einschreiben. Damals stand er noch unter dem Eindruck des frühen Todes seines Idols, des Musikers und Produzenten Richard Swift, der 2018 an Krankheiten im Zusammenhang seiner Alkoholabhängigkeit gestorben ist. „Mir ist klar geworden, dass wir nur aus einer Sammlung von Erinnerungen bestehen. Wenn man uns diese nimmt, was bleibt dann noch? Ich habe darüber nachgedacht, inwiefern ich auch als Musiker nur ein Glied in so einer Kette von Erinnerungen bin, indem ich musikalische Einflüsse mit mir herumtrage, und hoffentlich auch jüngere Menschen mit meinen Songs inspiriere.“

Dass Pecknold mit den Fleet Foxes früheren Musiker*innen-Generationen huldigt, ist auch auf „Shore“ nicht zu überhören. Der warme Westcoast-Sound der Anfangstage ist immer noch da. Die Songstrukturen sind eher simpel, die Besonderheiten liegen in der Ausschmückung, in einer schrägen Klavierlinie, die einen hymnischen Song unterbricht, im Einsatz eines Hornquartetts. Pecknold singt immer noch mit den Fleet Foxes im Chor, allerdings nur noch mit sich selbst.

Viel Licht

Viel Licht steckt in dieser Musik, der Sound wirkt weichgezeichnet, im berühmten Electro-Vox Studio in Los Angeles durfte Pecknold sich ganz nahe an einigen seiner Idole fühlen – das Vibrafon, das schon für das Beach-Boys-Album „Pet Sounds“ zum Einsatz kam, ist hier zu hören, eine Orgel, auf der Fela Kuti einst gespielt hat, und einiges andere.

Neben einigen Gast­mu­si­ke­r*in­nen war Pecknolds wichtigste Partnerin bei der Arbeit am neuen Album die Toningenieurin Beatriz Artola, die vorher mit so unterschiedlichen Künstlern wie Adele, dem Rapper Common und Kylie Mi­nogue gearbeitet hat. In der Musik fühlt sich Pecknold zu Hause, mit den Texten aber tat er sich schwer. Als die Pandemie die USA erreichte, saß er vor einem Haufen Rough-Mix-Instrumentals, ohne ein einzige Textzeile.

Er, der sich ohnehin schon um alles Mögliche sorgt, war monatelang wie gelähmt. Im Juni ist er dann immer öfter ins Auto gestiegen, aus der Großstadt rausgefahren nach Upstate New York, hat seine Aufnahmen gehört und angefangen, zur Musik zu singen. „Ich habe in dieser Zeit auch wieder angefangen zu rauchen. Es war das Eingeständnis meiner Schwäche. Und kreativ sein bedeutet auch, seine Schwächen zuzulassen, sich den Kräften zu beugen, die von außen auf mich einwirken. Ich glaube, wieder zu rauchen hat ein paar Türen geöffnet.“

Türen zum Selbst

Es waren vor allem Türen zu sich selbst, die sich geöffnet zu haben scheinen – viele der Songtexte lesen sich wie Selbsterkundungen, es gibt keinen einzigen Lovesong auf diesem Album. Höchstens „Sunblind“ hätte diesen Titel verdient, das euphorische zweite Stück, in dem Pecknold namentlich seinen verstorbenen Idolen huldigt, einige davon Freunde, wie David Berman von den Silver Jews. Der Tod ist präsent in vielen Stücken auf „Shore“, weshalb man sich Sorgen machen könnte um den 34-jährigen Pecknold, doch das weist er vehement von sich: „Nein, Gedanken an Selbstmord liegen mir wirklich fern. Ich versuche doch im Gegenteil eher, die Toten am Leben zu halten.“

Zum Einsatz kam ein Vibrafon, auf dem schon die Beach Boys „Pet Sounds“ aufnahmen

Im Nachhinein wirkt es, als hätte Pecknold auf seinen langen Autofahrten nur herausgefunden, worum es eigentlich geht in der Musik, die er schon im Jahr zuvor komponiert hatte. „Shore“ ist ein optimistisches Album mit starkem melancholischem Einschlag, das vielleicht sogar von der Versöhnung mit dem Tod erzählt. Es ist alles andere als modisch und reiht sich ein in die Linie der früheren Fleet-Foxes-Werke. Obwohl Pecknold so viel damit vorhatte, wirkt es wesentlich leichter, weniger bemüht als der Vorgänger „Crack-Up“. Und es hat mindestens zwei, drei große Stücke, die das Zeug für musikalischen Nachruhm haben.

Irgendwo ist Robin Pecknold mit „Shore“ sicher angekommen, vielleicht in der Mitte wenigstens seines eigenen Lebens. Wahrscheinlich ist es jetzt wirklich Zeit für einen Hund.

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