Bis an die Grenze

DDR-DRAMA Miriam heißt Rebecca, seit ihre Eltern sie „Jenseits der Mauer“ zurückließen. Ein TV-Film über das Schicksal einer Zwangsadoptierten und ihrer Familien (20.15 Uhr, ARD)

Ost-West-Klischees hinterlassen einen Wermutstropfen auf der ansonsten klugen Inszenierung

VON JÖRN MEYN

Grenzübergang Marienborn/Helmstedt an der Schwelle zwischen Ost- und Westdeutschland im April 1974: Das Ehepaar Heike und Ulrich Molitor (Katja Flint, Edgar Selge) sitzt schweigend im Auto vor dem DDR-Kontrollposten. Hinter einer Zwischenwand im Kofferraum versteckt, kauern ihre Kinder Klaus und Miriam. Ein Fluchtversuch. Aus dem Auto vor den Molitors dröhnt die Reggae-Musik Bob Marleys.

Sind das schon die verlockenden Vorboten der Freiheit, die Sirenen des goldenen Westens, oder versucht hier ein Regisseur durch den atmosphärischen Bruch zwischen Bild und Ton die gewohnte Seherfahrung des Zuschauers zu unterwandern? Wohl beides. Grimme-Preisträger Friedemann Fromm („Die Wölfe“) traut sich im ARD-Mittwochsfilm „Jenseits der Mauer“ einen Spagat: Zur Reihe der Filme über die deutsche Teilung anlässlich des 20. Mauerfalljubiläums inszeniert der 46-Jährige einen Plot um ein bisher kaum öffentlich diskutiertes Thema: Zwangsadoption in der DDR. Hierfür, so scheint es, wollte er die ausgetrampelten Pfade der Fiktion um allzu abgegriffene Ossi- und Wessi-Klischees meiden, ohne dabei den Unterhaltungswert und die einem solchen Thema gebührende Ernsthaftigkeit vermissen zu lassen.

Das gelingt ihm nur teilweise. So bedient auch „Jenseits der Mauer“ wieder einige Ost-Film-Klischees: Wieder einmal verliebt sich das schöne Ost-Mädchen in einen Westler. Wieder einmal erscheint das Leben in der DDR als kalte, graue Tristesse. Das hat man allzu häufig gesehen und es hinterlässt daher einen Wermutstropfen auf der ansonsten klugen Inszenierung der Geschichte (Buch: Holger Karsten Schmidt), der es gelingt, die zahlreichen Einzelkonflikte der Protagonisten vielschichtig ineinander zu verschränken.

Der Fluchtversuch der Molitors scheitert. Bald stehen die Eltern vor einer folgenschweren Entscheidung: Entweder lassen sich Heike und Ulrich zusammen mit ihrem siebenjährigen Sohn Klaus in die BRD abschieben und ihre zweijährige Tochter Miriam zur Zwangsadoption zurück in der DDR. Oder sie erwartet eine langjährige Gefängnisstrafe und die Entziehung des Sorgerechts für beide Kinder. Die Eltern entscheiden sich schweren Herzens für Ersteres und beginnen in Westberlin ein neues Leben. Miriam aber wird von der Familie des Stasi-Beamten Frank Pramann (Herbert Knaup) adoptiert, heißt von dort an Rebecca und kann sich an ihre richtigen Eltern bald nicht mehr erinnern. Die allerdings geben die Suche nach ihrer Tochter bis zum Mauerfall 1989 nicht auf und finden sie schlussendlich.

Schicksale wie das fiktive von Miriam und ihren beiden Familien hat es in den Jahren des geteilten Deutschlands zahlreich gegeben. So erzählt Ulrike Brinckers anschließende Dokumentation „Trennung von Staats wegen“ (21.45 Uhr) von Eltern und Kindern, die zu DDR-Zeiten aus Gründen politischer und gesellschaftlicher Maßregelung getrennt wurden und sich oft erst Jahrzehnte später wieder gegenüberstanden. Fremde nach Jahren der Trennung, die nur selten wieder zueinander finden.

„Jenseits der Mauer“ gibt einen Einblick in die psychische Zerrissenheit einer Familie, die durch die brutale Willkür und die Verfolgungsparanoia des SED-Staats auseinandergetrieben wird und um den inneren Zusammenhalt ringt. Das erschüttert den Zuschauer – besonders durch Katja Flints ergreifende Interpretation der Mutter Heike, die ihr verlorenes Kind nicht vergessen kann. Auch das unaufgeregte Spiel Henriette Confurius’ (Miriam), die bei der jüngsten Verleihung des Deutschen Filmpreises mit dem Förderpreis geehrt wurde, überzeugt.

Dass das große Wiedersehen am Ende inmitten gen Westberlin strömender Menschen in der Nacht des Mauerfalls so platt pathetisch daherkommt, ist unnötig – genau wie der erneute Einsatz der Reggaemusik vom Anfang, die die Familienzusammenführung bis zum Abspann untermalt.