Rechtsextreme Chatgruppe: 30 PolizistInnen suspendiert

In NRW sind 30 mutmaßlich in den Polizeiskandal verwickelte BeamtInnen vom Dienst befreit worden. Innenminister Reul spricht von „widerwärtigster Hetze“.

Ein Abzeichen der nordrhein-westfälischen Polizei, fotografiert auf einem Hemd in der Landesleitstelle der Polizei

Die Polizei in NRW hat ein Problem, 30 PolizistInnen sollen beteiligt gewesen sein Foto: Marcel Kusch/dpa

DÜSSELDORF dpa/epd/afp | Nach der Aufdeckung rechtsextremer Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten sind inzwischen 30 Polizisten in Nordrhein-Westfalen vorläufig vom Dienst befreit worden. Das hat Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag dem Landtag in Düsseldorf berichtet. Die Suspendierung einer Beamtin sei zu den bereits bekannten 29 Fällen noch hinzugekommen. „Die Dimension und diese Abscheulichkeiten habe ich nicht für möglich gehalten“, sagte Reul.

Es handele sich „um übelste, widerwärtigste neonazistische Hetze. „Wir werden das aufarbeiten, radikal und bis ins kleinste Detail“, sagte Reul. Bei den Durchsuchungen am Mittwoch seien 43 Telefone, 19 SIM-Karten, 21 USB-Sticks, 20 Festplatten, 9 Tablets und 9 PCs sowie eine geringe Menge Betäubungsmittel beschlagnahmt worden.

Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, hat umfassende Aufklärung gefordert. Es bestehe ein akuter Handlungsbedarf, sagte Radek am Donnerstag im Deutschlandfunk.

Betroffene sind vom Dienst suspendiert

Zum einen müsse es nun eine dienstrechtliche und strafrechtliche Aufklärung geben. „Da muss gehandelt werden, da müssen Konsequenzen gezogen werden – Entfernung aus dem Dienst, denke ich, wenn sich die Verdachtsfälle bestätigen“, sagte der Gewerkschafter. Zum anderen müssten Polizisten aber auch intern gegen Rechtsextremismus gestärkt werden.

In Nordrhein-Westfalen waren fünf rechtsextreme Chatgruppen aufgedeckt worden, an denen 29 Polizistinnen und Polizisten beteiligt gewesen sein sollen. Das hatte Innenminister Reul am Mittwoch in Düsseldorf mitgeteilt. Die Betroffenen seien suspendiert worden, gegen alle seien Disziplinarmaßnahmen eingeleitet worden. 14 Beamte sollen aus dem Dienst entfernt werden.

In den Ermittlungen müsse nun auch geklärt werden, wie die Chatgruppe über einen so langen Zeitraum bestehen konnte. Eine der Chatgruppen ist den Behörden zufolge wahrscheinlich bereits im Jahr 2012 gegründet worden, spätestens im Mai 2015. Die betroffenen Polizisten hätten auch die Möglichkeit gehabt, sich aus den Chatgruppen abzumelden, sagte Radek. „Wir sind über ein Stadium hinaus, wo wir ganz klar benennen müssen, so was dulden wir nicht in der Polizei – auch nicht aus Fahrlässigkeit. Das wäre völlig falsch.“

Ermitteln, aufklären, bestrafen, laute die Devise

Das Ausmaß rechtsextremer Chatgruppen in der nordrhein-westfälischen Landespolizei ist nach Darstellung von Innenminister Herbert Reul (CDU) noch nicht absehbar. „Weiß nicht. Ich bin kein Prophet, kein Kaffeesatzleser im Gegensatz zu manchen, die immer alles schon wissen. Ich fange jetzt einfach systematisch an“, sagte Reul am Donnerstagmorgen in einem WDR2-Interview auf die Frage, was nach der Entdeckung von fünf Chatgruppen, der Beschlagnahme von Handys und den Durchsuchungen von Dienststellen und Privatwohnungen noch herauskomme. Wenn etwas gefunden werde, werde weiter „gegraben“.

„Ermittlung heißt dranbleiben“, sagte Reul. „Ich nehme es ernst, ich kümmere mich.“ Er habe auch die Polizeichefs und die Landräte in die Pflicht genommen. Ermitteln, aufklären, bestrafen, laute die Devise.

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, befürchtet einen Verlust von Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Es müsse nun mit aller Deutlichkeit gesagt werden, dass rechtsextremes Gedankengut und Handeln in der Polizei keinen Platz hätten, sagte Münch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Donnerstag. Die Polizei in Deutschland müsse „bis in die letzte Dienststelle“ alles tun, um Vertrauen zu halten oder zurückzugewinnen.

Habeck: „Falsch verstandener Korpsgeist“

Münch sagte, insgesamt sei der Rechtsextremismus „für unser gesellschaftliches Zusammenleben und unsere demokratische Ordnung das größte Risiko“. So gehe schon seit Jahren mehr als die Hälfte der politisch motivierten Straftaten von der rechten Szene aus. Auch gebe es eine neue Qualität der Gewalt, sagte der BKA-Chef und verwies auf die Anschläge von Halle und Hanau sowie den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). Die Zahl der rechtsextremistischen Gefährder habe sich in den vergangenen eineinhalb Jahren mehr als verdoppelt und werde vermutlich noch weiter steigen.

Grünen-Chef Robert Habeck fordert, gegen „falsch verstandenen Korpsgeist“ unter den Beamten vorzugehen. Eine ganze Dienststelle sei involviert, es hätten zwar nicht alle aktiv mitgemacht, aber über Jahre hätte niemand etwas dagegen unternommen, sagte Habeck am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Die Ereignisse zeigten besonders plakativ, „was falsch verstandener Korpsgeist anrichten kann“. Daher brauche es die Einrichtung eines unabhängigen Polizeibeauftragten. „Nur so kann falsch verstandener Korpsgeist wirksam bekämpft werden.“

Parteikollegin Irene Mihalic sagte, strukturelle Probleme bei der Polizei ließen sich nicht mehr leugnen. Sie schlug die Einsetzung unabhängiger Polizeibeauftragter bei den Parlamenten vor, an die sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden wenden könnten, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Es dürfe nicht dem Zufall überlassen bleiben, ob solche Netzwerke aufgedeckt würden, sagte Mihalic.

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