„Marsch für das Leben“: Gegner*innen machen mobil

Am Samstag wollen in Berlin Fundamentalist*innen gegen Schwangerschaftsabbrüche demonstrieren. Widerstand ist angekündigt.

Ein Transparent mit einem Mittelfinger bei einer Demonstration vor Polizisten.

GegendemonstrantInnen beim „Marsch für das Leben“ Foto: M.Czapski/snapshot/imago

BERLIN taz | Am kommenden Samstag ist es wieder soweit: Radikale Abtreibungsgegner*innen treffen sich in Berlin, um gegen Schwangerschaftsabbrüche zu protestieren. Zum „Marsch für das Leben“ reisen sie alljährlich aus dem gesamten Bundesgebiet an – konservative und christlich-fundamentalistische Teilnehmer*innen ebenso wie AfD-Politiker*innen. In den lvergangenen Jahren waren es rund 5.000 Menschen.

Aufgrund der Corona-Pandemie rechnet der veranstaltende „Bundesverband Lebensrecht“ diesmal mit weniger Teilnehmenden. Stabil bleibt die Unterstützung aus CDU und CSU: Alle Jahre wieder schicken Unionspolitiker*innen Grußworte an die Abtreibungsgegner*innen – so auch dieses Mal. Unter ihnen sind die Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor und Sylvia Pantel sowie der stellvertretende Vorsitzende der Werteunion Thomas Jahn. Grußworte kommen auch vom Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing.

Doch die Berliner*innen wollen ihre Stadt nicht den Abtreibungsgegner*innen überlassen. Unter dem Motto „Leben-lieben-selbstbestimmt“ ruft das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, dem unter anderem Beratungsstellen, feministische Gruppen, Gewerkschaften, Grüne und Linke angehören, zur Gegendemo auf.

„Die anhaltende Pandemie hat die Situation für Frauen* jetzt hier und weltweit noch einmal verschärft“ erklärt Ines Scheibe, Mitgründerin des Bündnisses. „Deswegen rufen wir auch dieses Jahr dazu auf, für das Recht auf Selbstbestimmung auf die Straße zu gehen.“

Kontaktarmer Protest

Den Protest hat das Bündnis an die Coronapandemie angepasst: Anstelle einer Demonstration findet eine „stationäre“ Kundgebung statt. „So kann besser auf Abstände geachtet werden“, erklärt das Bündnis gegenüber der taz. Auf eine großflächige Mobilisierung haben die Organisator*innen verzichtet.

Mit einer dezentralen „Pro Choice Rallye“ quer durch Berlin-Mitte will das queerfeministische Bündnis „What the fuck“ es auch für Menschen aus Coronarisikogruppen ermöglichen, an den Gegenprotesten teilzunehmen. “Wir als What-the-fuck-Bündnis haben uns ganz bewusst für eine kontaktarme Protestform entschieden“, erklärt Pressesprecherin Lili Kramer. Die Demonstrant*innen können sich zwischen sechs themenspezifischen Kundgebungen bewegen, beispielsweise zu Queer-Feminismus oder Sexarbeit. Es werden bis zu 1.500 Teilnehmende erwartet.

Es steht nicht gut um reproduktive Rechte in Deutschland: Immer weniger Ärzt*innen führen Schwangerschaftsabbrüche durch. Seit 2003 ist ihre Zahl von 2.000 auf 1.200 gesunken, in manchen Regionen müssen die ungewollt Schwangeren für einen Abbruch bis zu 200 km zurücklegen.

Hinzu kommt ihre Stigmatisierung: Denn nach Paragraf 218 ist der Schwangerschaftsabbruch gesetzlich verboten und lediglich straffrei, wenn er bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis erfolgt, zuvor eine Pflichtberatung stattgefunden hat und eine dreitägige Bedenkfrist eingehalten wurde.

Gegenprogramm: „Safe Abortion Day“ am 28. September

Als erste Einzelgewerkschaft seit der Wiedervereinigung hat Verdi deshalb beschlossen, die Abschaffung von Paragraf 218 zu fordern. „Wir haben über eine Million weibliche Mitglieder, einen Frauenanteil von über 50 Prozent – da müssen wir uns zum Recht auf den eigenen Körper positionieren“, erklärt Brigitte Schero gegenüber der taz. Als Präsidiumsmitglied im Gewerkschaftsrat wird sie bei der Kundgebung des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung sprechen.

Die Coronapandemie verschärft die Situation. Viele der praktizierenden Ärzt*innen gehören wegen ihres Alters selbst zur Risikogruppe, Praxen bleiben geschlossen. Unklar ist zudem, wie viele Krankenhäuser den Schwangerschaftsabbruch während der Pandemie zum „aufschiebbaren Eingriff“ deklarierten. In einem Punkt ist Bundesfrauenministerin Franziska Giffey den ungewollt Schwangeren nun entgegengekommen: Die Pflichtberatung kann mittlerweile auch online wahrgenommen werden.

„Das reicht aber längst nicht aus“, erklärt Ärztin Alicia Baier, die Doctors for Choice in Deutschland mitbegründet hat. „Eine Zwangsberatung ist aus medizinischer Sicht nicht notwendig – viel sinnvoller wäre es, sie ganz zu erlassen.“ Auch die WHO fordere ihre Abschaffung.

„Das deutsche Strafgesetzbuch ist auf der Seite der Abtreibungsgegner*innen“, konstatiert Baier. „Durch Paragraf 218 werden ungewollt Schwangere stigmatisiert, durch 219a der Zugang zu Informationen massiv erschwert.“ Doch wer Fake News über Abtreibungen verbreite und Ärzt*innen anfeinde, müsse keine juristischen Konsequenzen fürchten.

Um diese gesetzliche Schieflage geht es auch am 28. September, dem internationalen „Safe Abortion Day“ – in Deutschland unter dem Motto „Schwangerschaftsabbruch ist Grundversorgung“. Bundesweit rufen Pro-Choice-Gruppen an diesem Tag zu Aktionen für sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Rechte auf.

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