Die Wut der Hinterbliebenen

Erstmals treffen sich bei Frankfurt 60 Angehörige der deutschen Tsunami-Opfer. Die Bundesregierung habe versagt, die Identifizierung der Toten viel zu lange gedauert, klagen sie. Ein Experte vom Bundeskriminalamt versucht zu besänftigen

AUS FRANKFURT BEN REICHARDT

Die 32-jährige Tochter von Klaus Waldschmidt war kurz davor, sich selbstständig zu machen. Sie wollte Computerschulungen für ältere Menschen anbieten, erzählt der Vater. Doch dann flogen Jeanette Waldschmidt und ihr Lebensgefährte Ende vergangenen Jahres nach Thailand. Sie kehrten nie zurück.

Erst im März, so sagt der 69-jährige Waldschmidt hatte er Gewissheit: Seine Tochter starb durch den Tsunami. Wie schwer die vergangenen Monate für ihn und seine Familie gewesen sind, klingt allenfalls in Nebensätzen an, etwa wenn Waldschmidt von einer „schlimmen Zeit“ spricht. Ganz offen aber zeigt er seine Empörung über staatlichen Stellen. „Die Bundesregierung hat uns links liegen gelassen.“

So wie Waldschmidt geht es vielen Hinterbliebenen von Tsunami-Opfern, die am Samstag auf Einladung des Vereins Missing-People e. V. zum ersten bundesweiten Angehörigentreffen in Sulzbach bei Frankfurt zusammen kamen. Auch wenn die Verwandten gefunden und identifiziert sind – noch sind viele Fragen offen.

Missing-People hatte neben Bundesaußenminister Joschka Fischer auch Innenminister Otto Schily und Kanzlerkandidatin Angela Merkel sowie Vertreter der staatlichen Koordinierungsstelle Noah eingeladen. Gekommen ist keiner von ihnen. Umso gespannter lauschten die rund 60 Angehörigen den Ausführungen von Jürgen Peter, Leiter der Identifizierungskommission (IDKO) des BKA in Wiesbaden. Peter war bis Ende Januar vor Ort gewesen. Voraussichtlich bis Ende des Jahres wird sein rund 30-köpfiges Team in einer der drei Leichensammelstellen weiter seine Arbeit tun. Bis heute, so Peter sind 525 der 552 deutschen Opfer identifiziert. Vermisst werden noch 27 Menschen. „Mit einer so hohen Identifizierungsquote habe ich nicht gerechnet“, sagt Peter.

Vor allem logistische Probleme hätten die Arbeit am Ort erschwert. Die Abstimmung mit der thailändischen Regierung sei problematisch gewesen. Auch habe es anfangs weder Strom noch Trinkwasser gegeben. Weltweit suchte sein Team nach Kühlcontainern für die toten Körper gesucht.

Für die meisten der Angehörigen war es das erste Mal, dass ihnen jemand von der schwierigen Identifizierungsarbeit vor Ort berichtete. So erfuhren sie nun, warum sie zum Teil wochen- oder monatelang auf detaillierte Nachrichten warten mussten. Durch die Rückfragen der hiesigen Polizeistellen bei den Angehörigen von vermeintlichen Tsunami-Opfern, „gab es Millionen von Einzelinformationen. Es war unmöglich, dass jede einzelne beteiligte Stelle diesen Umfang an Informationen parat hat“, sagt Peter. Immerhin gebe es 16 Landeskriminalämter und nachgeordnete Behörden, die arbeitsteilig funktionierten. Allerdings wolle er nicht verhehlen, dass es „viele Individualfehler“ beim Informieren der Angehörigen gegeben habe. „Ich weiß, dass viele von Ihnen nicht die Antworten von den Stellen bekommen haben, die sie hätten bekommen sollen.“ Peter wollte den Angehörigen begreiflich machen, warum die Bundesregierung nicht in der Lage war, kurz nach der Katastrophe für geordnete Verhältnisse vor Ort zu sorgen und eine systematische Suche nach Vermissten zu organisieren. In einigen Fällen, so Peter, fehlten Informationen, weil sich Deutsche, die seit Jahren in Thailand leben und den Kontakt ins Heimatland abgebrochen hatten, nicht vorstellen konnten, dass ihre Familie sie nun sucht. Den einen oder anderen habe sein Team dann in einer Bar irgendwo im Land angetroffen.

Peter widmete sich auch der Frage der unterschiedlichen Bodycodes. Thailändische Helfer hätten einzelnen Leichen bereits beim Fund Ziffernfolgen zugeordnet, die später mit den Fotos der Toten kursierten. Den offiziellen Bodycode erhielten die deutschen Opfer aber erst von der IDKO. Viele Angehörige beklagten, dass ihnen die thailändische Zuordnung nicht genannt worden war – was in ihren Augen die Suche erleichtert hätte. Ihm sei dieses Problem so nicht bewusst gewesen, so Peter. Die thailändischen Codes seien „nicht geheim“ gewesen. Allerdings habe das BKA ihnen aber kaum Bedeutung zugemessen, weil sie nicht nach internationalen Standards vergeben wurden.

Klaus Waldschmidt jedenfalls wird das Treffen als „sehr positiv“ in Erinnerung behalten. „Das war das erste Mal, dass man uns so ausführlich über die Arbeit des Bundeskriminalamts informiert hat.“ Die BKAler seien Helden, denen er keinen Vorwurf machen könne.