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Die Landschaft vermüllt

In der Coronazeit zieht es die Menschen ins Grün vor der Haustür. Darunter leiden Tiere und Pflanzen

Foto: Matthias Freter

Rüdiger Wohlers

58, lebt in Oldenburg und arbeitet in der Geschäftsstelle des NaturschutzbundesNiedersachsen.

Interview Lena Toschke

taz: Herr Wohlers, leidet auch die Natur unter der Coronapandemie?

Rüdiger Wohlers: Wir sind natürlich froh, dass die Leute rausgehen und sich mit der Natur beschäftigen. Aber natürlich stellen wir auch fest, dass seit der Coronapandemie ein viel höherer Freizeitdruck da ist. Das war im Frühjahr für die Wiesenbrüter ein großes Thema, weil sie häufig aufgescheucht wurden, weil die Leute einfach über Wiesen liefen. Genauso wie viel mehr Leute mit unangeleinten Hunden dort unterwegs waren. Leute sind auch in sensible Gebiete hineingegangen. Ein weiteres Problem, mit dem wir in diesem Jahr stark zu kämpfen haben, ist die zunehmende Vermüllung der Landschaft.

Welche Auswirkungen hat das auf die Tier- und Pflanzenwelt?

In erster Linie wird die Ruhe der Tiere gestört. Wenn Vögel immer wieder aufgescheucht werden und Eier erkalten, hat das auf lange Sicht natürlich auch Auswirkungen auf den Tierbestand. Außerdem können beim Verlassen der Wege Pflanzen zerstört werden. Auch das Wildgrillen ist eine große Gefahr. Da kann schon ein kleines Glimmen dazu führen, dass der Wald abbrennt. Viele Einweggrills stellen außerdem Fallen für Wildtiere dar, genauso wie durch zerschlagene Flaschen und herumliegende Dosen eine große Verletzungsgefahr besteht.

Wie gehen Sie mit Störenfrieden tun?

Das Entscheidende ist, dass man Empathie für die Natur weckt. Aber manchmal ist es natürlich auch erforderlich, Menschen anzuzeigen oder Ordnungswidrigkeitsverfahren bei den Behörden in die Wege zu leiten.

Aber eigentlich ist es doch toll, wenn die Menschen den Wert der Natur hierzulande wieder entdecken.

Ja! Das ist auch genau das, was wir möchten: Dass Menschen sich mit ihrem Umfeld beschäftigen, dass sie die Natur sinnlich aufnehmen, an Blüten schnuppern, Schmetterlinge sehen – oder eben auch nicht, weil ihnen klar wird, was durch den Klimawandel oder die Ausräumung der Landschaft schon verloren gegangen ist. Es ist ganz wichtig, dass die Menschen in unserer durchvirtualisierten Welt nicht von der Natur Abstand nehmen, sondern begreifen, dass sie Teil davon sind. Es hat bei vielen Menschen schon eine Entfremdung von der Natur stattgefunden.

Wie macht sich die bemerkbar?

Das zeigt sich vor allem daran, dass in der größten Wildtieraufnahmestation in Norddeutschland, dem Nabu-Artenschutz-Zen­trum in Leiferde, deutlich mehr Tiere eingeliefert wurden, die vermeintlich hilflos waren. Da wurde dann das Rehkitz mitgenommen, das die Mutter nur für kurze Zeit alleine gelassen hatte, da wurde der Junghase eingesammelt, der sich einfach nur ins Gras duckte, um sich zu verstecken. Außerdem wurden Jungvögel aus Nestern genommen, was natürlich großer Unsinn ist. Die Tiere verhalten sich nun einmal so, die Menschen erkennen es nur oft nicht.

Und was kann ich tun, wenn ich mir nicht sicher bin, ob ein Tier Hilfe benötigt oder nicht?

Im Zweifelsfall ist es am besten, sich an Fachleute zu wenden – etwa örtliche Tierärzte oder eine anerkannte Wildtieraufnahmestation. Deren Telefonnummer kann bei der Polizei oder der Naturschutzbehörde erfragt werden.

Und im besten Fall lerne ich auch selbst etwas über die Natur?

Menschen, die neugierig sind, beginnen im Idealfall damit, dieses Interesse zu transformieren und beispielsweise im eigenen Garten oder sonstwo im Grünen umzusetzen, indem sie aktiv werden: sich um Fledermäuse kümmern, Nistkästen und Insektenhotels bauen oder Pflanzen säen beispielsweise.

Sie sehen die Coronapandemie offenbar eher als Chance.

Für uns ist es ganz wichtig, dass wir das Interesse an Natur aufgreifen, gerade für unsere Umweltbildungszentren, und dass wir entsprechende Angebote machen, die Natur kennenzulernen. Es gibt eine unglaubliche Nachfrage an Mitwirkung, von der wir gar nicht wissen, ob wir ihr nachkommen können.

Worauf sollen die Menschen achten, wenn sie sich in Naturschutzgebieten aufhalten?

Wir können nur hoffen, dass sich die Menschen vernünftig verhalten, keinen Müll herumliegen lassen, ihre Hunde an die Leine nehmen und sich an vorgeschriebene Wege halten.