Obdachlose Flüchtlinge in Moria auf Lesbos: Polizeigewalt und ein neues Lager

Sie wollen nur weg von der Insel und demonstrieren dafür auf der Straße. Die Polizei fährt Wasserwerfer gegen die Menschen aus dem zerstörten Camp auf.

Demonstranten mit Schutzmasken, in der Bildmitte ein Kind auf den Schultern eines Mannes, es streckt den rechten Arm in die Höhe, dahinter ein weißes Transparent mit Aufschrift

„Nein zum Lager“, riefen die Menschen, berichtet ein Reporterin der Nachrichtenagentur afp Foto: reuters

BERLIN taz | Nachdem über 10.000 ehemalige Bewohner des niedergebrannten Flüchtlingscamps Moria auf Lesbos die vierte Nacht im Freien verbringen mussten, demonstrierten auch am Samstag Tausende von ihnen und forderten, von der Insel gebracht zu werden.

„Nein zum Lager“, riefen die Menschen, wie eine Reporterin der Nachrichtenagentur afp schilderte. Einige Demonstranten bewarfen die Polizei mit Steinen. Die setzte immer wieder Wasserwerfer und Tränengas gegen sie ein. Der 21-jährige Afghane Mahdi Ahmadi sagte, er und andere Migranten wollten „nicht in ein abgeschlossenes Lager verlegt werden, in dem es weder Sicherheit noch Freiheit gibt“.

Beobachter verschiedener NGOS sprachen von einer totalen Eskalation der Gewalt. „Die meisten haben seit drei Tagen nicht gegessen und sind völlig dehydriert, Kinder brechen vor Erschöpfung zusammen“, berichtete die NGO Mare Liberum. Demonstranten wurden mit Atemproblemen ins Krankenhaus gebracht.

„Wir schlafen im Dreck oder auf der Straße“, schreibt eine Gruppe ehemaliger Lagerbewohner auf Facebook. „Wir haben nichts, womit wir uns bedecken können, nicht einmal eine Jacke, die uns vor der nächtlichen Kälte und dem Wind schützt.“ Einige Flüchtlinge schliefen unter den Bäumen des örtlichen Friedhofs.

500 neue Zelte für je 6 Personen

Am Freitag hatte das Militär begonnen, ein provisorisches Zeltlager auf einem ehemaligen Übungsgelände, zwischen dem Lager Moria und der Inselhauptstadt zu errichten. Dort sollen bis Sonntag 500 Zelte für je 6 Personen aufgebaut werden. Das Lager soll verschiedenen Medienberichten zufolge abgeschottet sein – wer dort einmal untergebracht ist, soll vorerst nicht wieder hinaus dürfen.

Während des Baus wurde die Armee durch heftige Proteste behindert. Einige Anwohner hielten die Bulldozer der Bautrupps mit Straßensperren auf. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warnte am Samstag vor „wachsenden Spannungen zwischen Anwohnern, Asylsuchenden und der Polizei“.

Verschiedene Lokalpolitiker griffen den Bürgermeister von Mytilene, Stratis Kytelis, am Samstag scharf an. Dieser dulde, dass die Regierung in Athen neue Strukturen für die Flüchtlingsunterbringung errichte. Anstatt durchzusetzen, dass kein neues Lager entstehe und zu fordern, dass Schiffe die Flüchtlinge und Migranten aufnehmen, schaue Kytelis weg, kritisierte die Oppositionspolitikerin Niki Tsirigotis.

Am Samstagmittag zogen die ersten 40 Flüchtlinge in das neue Zeltlager ein. Alle wurden dabei einem Corona-Schnelltest unterzogen, ein Test fiel positiv aus.

27 der 35 Lagerbewohner mit nachgewiesener Coronavirus-Infektion, die die Behörden bis zum Brand am vergangenen Dienstag im Lager identifiziert hatten, sind noch immer noch nicht gefunden wurden.

Soli-Demo in Hamburg

Am Samstag flogen die Behörden ein erst 20 Tage altes Kind nach Athen, um es auf einer Kinder-Intensivstation behandeln zu lassen. Der Säugling war zuvor mit Fieber in das Inselkrankenhaus von Lesbos gebracht worden. Dort wurde bei ihm und seiner Mutter eine Infektion mit Covid-19 festgestellt. Weder das Baby noch die aus Afghanistan stammende Mutter waren unter den 35 bis Dienstag Infizierten, und auch nicht unter deren rund 100 bekannten Kontaktpersonen.

Rund 1000 Menschen haben derweil am Samstag in der Hamburger Innenstadt für mehr Solidarität mit Geflüchteten und Migranten sowie gegen Rassismus demonstriert. Mit Blick auf die Situation rund um das Camp Moria trugen viele Teilnehmer Transparente und Plakate mit Aufschriften wie „Wir haben den Platz!“ oder „Holt sie her!“ und forderten die Aufnahme von Geflüchteten aus dem zerstörten Lager.

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