Videoportal lässt sich missbrauchen: Wenn Youtube bei der Zensur hilft

Vietnams Regime nutzt angebliche Verletzungen von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz, um kritische Videos aus Deutschland entfernen zu lassen.

Vietnamesischer Mann im Anzug

Trung Khoa Le, Betreiber des Online-Portals thoibao.de, in Berlin Foto: Bianca Theis

BERLIN taz | „Hallo thoibao.de“, so beginnt die standardisierte E-Mail des Videoportals Youtube an die Redaktion des vietnamesischen Exilmediums Thoibao. „Hiermit möchten wir Ihnen mitteilen, dass wir von einer Einzelperson eine Datenschutzbeschwerde im Hinblick auf Ihre Inhalte erhalten haben.“

Es folgen Links zu mehreren Videos, die die regierungskritische Redaktion bei Youtube hochgeladen hat, von Berlin aus, wo Thoibao (deutsch „Die Zeit“) seit 2008 seinen Sitz hat. Youtube fordert auf, die Videos rechtlich zu prüfen – und droht mit Löschung, wenn dem nicht gefolgt werde.

Die Webseite von Thoibao ist seit 2017 in Vietnam geblockt, ihr deutsch-vietnamesischer Chefredakteur Trung Khoa Le betreibt sie aus dem Ausland weiter, dazu einen Youtube-Kanal und mehrere Facebook-Seiten. Thoibao soll eine Gegenöffentlichkeit sein zu den zensierten Medien im südostasiatischen Einparteienstaat. Laut Le gibt es monatlich 20 Millionen Zugriffe, davon 80 Prozent aus Vietnam.

Seit Oktober 2019 aber erhalte er regelmäßig Mails von Youtube, wie die eingangs zitierte – mehr als 40 seien es bisher, 7 Mal seien Videos letztlich gesperrt worden, berichtet Le der taz. Im April 2019 sei ein Thoibao-Video bei Youtube sogar nicht nur für Nutzer in Vietnam, sondern weltweit gelöscht worden. Darin ging es um den Schlaganfall von Vietnams mächtigem Staats- und Parteichef.

YouTube droht unspezifisch in Standardmail mit Sperrung

Hinter den Meldungen der betreffenden Videos scheint Vietnams Regierung selbst zu stecken. Die erste Warnmail von Youtube Deutschland vom Oktober 2019 nennt explizit die Regierung in Hanoi als Beschwerdeführerin. Darauf kam es zur Sperrung eines Thoibao-Videos in Vietnam, ohne dass Le informiert wurde, welches Gesetz er gebrochen haben soll, und ohne Möglichkeit zum Einspruch.

Inzwischen wird Le immerhin vorab mit Mails informiert. Er frage Youtube stets: „Bitte teilen Sie mir über den Zeitstempel des Contents mit, für den eine Datenschutzbeschwerde eingereicht wurde. Ohne diese Angabe kann ich nicht prüfen.“ Doch Youtube antwortet nie.

Le ist sich sicher, dass er keine Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte verletze, auch veröffentliche er keine gewaltdarstellenden oder pornografischen Inhalte. Inzwischen ergeben YouTubes Prüfungen immer öfter, dass Thoibao nicht gegen die Persönlichkeitsrechte in Deutschland verstößt.

Steckt Vietnams „Cyberarmee“ hinter den Sperranfragen?

Le vermutet, dass die vietnamesischen Beschwerden sich am 40 Sekunden langen Trailer seiner Nachrichtenvideos aufhängen. Darin zeigt er neben dem US-Präsidenten, Chinas Staats- und Parteichef, der EU-Kommissionspräsidentin und der deutschen Bundeskanzlerin auch Vietnams Staats- und Parteichef, den Premier und die Parlamentspräsidentin. Die Bilder hat Le von offiziellen vietnamesischen Regierungsseiten.

Die Politiker sind Personen der Zeitgeschichte und die Aufnahmen, die sie bei der Amtsausübung zeigen, schützt nach deutschem Recht nicht wie bei Privatpersonen das Persönlichkeitsrecht.

Le, der inzwischen auch wieder Morddrohungen aus dem mutmaßlichen Umfeld der Regierung in Hanoi bekommt, vermutet hinter den Sperranfragen Vietnams „Cyberarmee“. Zensoren, die das vietnamesischsprachige Internet von regierungskritischen Inhalten säubern sollen, ihre Zahl wird auf 10.000 geschätzt.

YouTube Vietnam sperrt jetzt Videos aus Deutschland

Weil YouTube in Deutschland inzwischen kaum noch bereit ist, Les Videos zu sperren, die hier durch die Pressefreiheit geschützt sind, gehen vietnamesische Sperranfragen inzwischen direkt an Youtube Vietnam. Dabei ist für aus Deutschland hochgeladene Videos Youtube Deutschland zuständig. Prompt sperrte Youtube Vietnams erste Videos von Thoibao, an denen Youtube in Deutschland nichts auszusetzen hatte.

Auf taz-Anfrage antwortet ein YouTtube-Sprecher erst nach Wochen, und dann auch nur knapp: „Youtube agiert in den jeweiligen Ländern nach den jeweiligen lokalen Gesetzen. Wenn ein Video nicht mehr auf Youtube erscheint, hat es entweder gegen die Community Guidelines verstoßen oder lokale Gesetze verletzt.“

Nachfragen wollte der Sprecher nicht beantworten. Fragen der taz, etwa nach der Gefahr der Instrumentalisierung durch Vietnams Zensoren, der Zensur unter dem Vorwand von Datenschutz- und Persönlichkeitsrechten oder der möglichen Einschränkung hiesiger Medienfreiheiten, lässt Youtube, das zum Google-Konzern gehört, unbeantwortet.

„Youtubes Umgang zeigt, dass das Unternehmen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten keine Priorität einräumt, solange es nicht unter öffentlichem Druck zur Reaktion gezwungen wird“, sagt Lisa Dittmer, Referentin für Internetfreiheit von Reporter ohne Grenzen, der taz.

„Mangelndes Verständnis für Missbrauch durch Regime“

Ähnlich wie Facebook könne Youtube Raum für unabhängige Medien in unfreien Staaten schaffen. „Den Unternehmen scheint jedoch ein tieferes Verständnis und das notwendige Interesse in Bezug auf die Strategien zu fehlen, mit denen Regime diese Freiheiten untergraben und unternehmenseigene Meldefunktionen und Tools missbrauchen,“ kritisiert Dittmer.

Vietnams Regierung hatte früher schon Facebook gegen Le in Stellung gebracht. 2018/19 manipulierten mutmaßliche regierungsnahe Trolle seine Face­bookseite so, dass sie wegen Sexismus abgeschaltet wurde. Erst nachdem sich Reporter ohne Grenzen für Le einsetzte, konnte er Facebook wieder nutzen.

Doch obwohl seine Seiten in Vietnam beliebt sind, blockiert Facebook nach seinen Angaben noch heute ohne Angabe von Gründen seine Honorierung. Der Konzern schaltet weiter Werbung auf Thoibaos Facebook-Seiten, von deren Preis Le die Hälfte zusteht. Ihm entgehen so 10.000 Euro im Monat.

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