Blätter, Schlamm und Sonne

Im Brücke-Museum überlagern sich gerade die Farben, Figuren, Formen und Zeiten: Die Malerin Vivian Suter ist in einem farbintensiven Dialog mit den Expressionisten zu erleben

Vivian Suter, „Bonzo’s Dream“, 2020, Installationsansicht, Brücke-Museum, Berlin Foto: Roman März. Courtesy of the Artist und Gladstone Gallery, New York/Brüssel; House of Gaga; Karma International und Proyectos Ultrvioleta

Von Sophie Jung

Irgendwann im Laufe des Ausstellungsbesuches tritt dieser Moment gewiss ein. Vielleicht schon zu Beginn, wenn der erste Blick in dem Brücke-Museum auf Vivian Suters satte gelbe Kreise fällt und dann über den Innenhof hinweg durch die Fenster wandert und sich ein solches Gelb auch auf Karl Schmidt-Rottluffs Mosaik „Die Badenden“ (1925) auftut. Oder erst, nachdem man sich langsam einen Weg zwischen Suters frei hängenden Stoffbahnen, zwischen ihren mal mäandernden und mal klar eingehegten Farbflächen geebnet hat, in den immer wieder die ebenso farbintensiven Figuren der Brücke-Künstler treten. Dann kommt dieser ganz persönliche, schwer zu berechnende Moment, um den in der Philosophie der Ästhetik so gerungen wird: Ganz unvoreingenommen, die Sinne offen, bleibt man stehen, lugt zwischen die Stoffbahnen, kuckt nochmal um die Ecke und das Auge wandert von den roten Äpfeln in Ernst Ludwig Kirchners „Stilleben mit Fruchtschale“ (1914) zu den ähnlich schwarz umrahmten, aber frei auf der Bildfläche liegenden Figuren Suters und wiederum von ihrem Kreis als Abstraktum zu Karl Schmidt-Rottluffs Kreis als „Fernen Mond“ (1956).

Im Brücke-Museum überlagern sich gerade die Farben, Figuren, Formen und Zeiten – und die Künstlerin Vivian Suter macht es mit ihrer Ausstellung „Bonzo’s Dream“ ganz einfach, sich auf dieses ästhetische Spiel einzulassen.

„Bonzo’s Dream“ im Brücke-Museum ist die erste Einzelausstellung von Vivian Suter in Deutschland. Ihre abstrakte Malerei entwickelt sie, wie auch zunächst die Expressionisten der Künstlergruppe Brücke, in der freien Natur. Seit den frühen 1980er Jahren lebt die argentinisch-schweizerische Künstlerin, Jahrgang 1949, in Guatemala in der fruchtbaren Landschaft am Vulkansee Atitlán.

Die üppige Vegetation, die Natur und die Zufälle der Natur fließen in ihre Kunst ein. An ihren Leinwänden im Brücke-Museum hängt noch der Schlamm eines großen Unwetters, Umrisse von Blättern sind darauf abzulesen, oder es sind Lacke geplatzt und Farben von der Sonne ausgeblichen. Auch Vivian Suters drei Hunde können mal einen Pfotenabdruck auf den Farbfeldern hinterlassen. Einer der drei, Bonzo, geriet gleich auch in den Titel der Berliner Ausstellung.

Lange war Vivian Suter eher eine Unbekannte. 2015 präsentierte sie die Galerie Karma International in Zürich, 2017 während der Documenta 14 wehten ihre Stoffbahnen auf dem Philopappushügel in Athen und im Glaspavillon in Kassel. Seither schenkt ihr die internationale Kunstwelt mit Einzelausstellungen viel Aufmerksamkeit, zuletzt das Camden Art Centre in London, demnächst das Museo Reina Sofía in Madrid.

Im Brücke-Museum nimmt sich Vivian Suter als Künstlerin zurück und lässt Material und Farbe entscheiden: Die Leinwände sind vom Rahmen gelöst und mit einfachen Nägeln in unterschiedlichsten Ausrichtungen an Wand, Decke und Balken gehängt. Sie können auch mal in mehreren Schichten übereinander, hintereinander oder unter einem Gemälde hervorhängen.

Geradezu beiläufig wird dabei deutlich, wie allumfassend auch der Kunstbegriff der Brücke-Künstler war. Neben den Gemälden von Kirchner und Schmidt-Rottluff oder Heckel sind auch Teppiche und kleine Schnitzarbeiten zu sehen, Hölzerne Kästchen, Gesichter aus Steinen, Schachfiguren.

Auch Vivian Suters Hunde können mal einen Pfotenabdruck auf den Farbfeldern hinterlassen

Suters Kunst ist geerdet. Und diese Bodennähe verhält sich wunderbar zu den 40 ausgewählten Arbeiten aus der Sammlung des Brücke-Museums. Denn hier tritt eine zeitgenössische abstrakte Malerei ganz ungeniert in den Dialog mit einer historischen Kunst, der man sonst mit Ehrfurcht begegnet.

Die Expressionisten der Brücke gehören zum Kanon der europäischen Kunstgeschichte, sie sind nicht nur in Deutschland ein Muss in modernen Museumssammlungen (selbst wenn die kritische Auseinandersetzung mit ihrer Rolle während des Nationalsozialismus, wie sie auch das Brücke-Museum mit der Vorgängerausstellung „Flucht in die Bilder?“ betrieben hat, diesen Kanon derzeit ins Wanken bringt). Die Unbefangenheit, mit der die fröhliche, farbintensive Kunst Suters auf die expressionistischen Bilder trifft, nimmt der historischen Kunst der Brücke ihre Unantastbarkeit.

Die Räume des Museums, von Architekt Werner Düttmann in den 1960er Jahren eher als modernistische Villa entworfen, bergen ohnehin schon eine gewisse Intimität, aber mit Vivian Suter rückt man nun wirklich ganz nah an die Kunst der Brücke heran.

Vivian Suter, Bonzo’s Dream.Brücke-Museum. Bis 14. Februar, Mi.–Mo. 11 – 17Uhr