Schulstart trotz Corona in Irland: Jede Schule macht ihr Ding

Die meisten irischen Schulen sind privatisiert und entscheiden vieles autonom. Mit der Pandemie wird auf der Insel sehr unterschiedlich umgegangen.

Michael Martin spricht in einem Klassenraum und trägt eine Mundschutzmaske. Er hebt die Augenbrauen weit nach oben und hält die Hände direkt vor der Brust.

Premierminister Michael Martin informiert sich über die Coronmaßnahmen an einer Schule in Dublin Foto: Julien Behat/dpa

DUBLIN taz | Seit einer guten Woche öffnen Irlands Schulen wieder nach und nach: Rund eine Million Kinder gehen erstmals seit dem 12. März wieder zum Unterricht. Die Schulen müssen eine vorgeschriebene Zahl an Unterrichtstagen vorweisen – bei anderen Modalitäten der Öffnung sowie den Ferienterminen sind sie frei. „Das irische Schulsystem weist nämlich eine Besonderheit auf“, sagt die pensionierte Grundschuldirektorin Áine Lyons: „Es ist mehr oder weniger privatisiert.“

Die meisten Grundschulen werden von der katholischen Kirche betrieben, aber es gibt seit den 80er Jahren auch immer mehr multikonfessionelle Schulen, die von Eltern gegründet werden. Schulgebühren werden nicht erhoben: Der Staat zahlt die Gehälter des Lehrpersonals, die Schulen müssen 15 Prozent der laufenden Kosten aufbringen. In den katholischen Schulen zahlt das die Kirche, in den multikonfessionellen Schulen veranstalten Eltern Basare, Auktionen oder Quizabende, um das Geld aufzubringen.

Die Schulen werden von Gremien geleitet, die aus dem Direktor oder der Direktorin sowie mehreren Ehrenamtlichen bestehen. Bei katholischen Schulen leitet ein Pfarrer das Gremium. Dieses entscheidet aber nicht nur über die Ferientermine, sondern muss sich in Zeiten der Coronakrise weitreichende Maßnahmen einfallen lassen.

„Das Bildungsministerium schiebt die Verantwortung von sich“, sagt Lyons. „Es beruft sich darauf, dass die Schulen autonom seien. Die Richtlinien, die das Ministerium Ende Juli veröffentlicht hat, sind völlig unrealistisch.“ Darin heißt es, dass Gelder für zusätzliche Lehrkräfte und Baumaßnahmen zur Verfügung gestellt würden, damit die Abstandsregeln eingehalten werden können. „Wo sollen die Bauarbeiter denn herkommen, um die Schulen binnen kürzester Zeit den Erfordernissen entsprechend anzupassen?“, fragt Lyons. „Und woher das Personal, wo doch schon in normalen Zeiten Lehrermangel herrscht?“

Grundschulen aus „Kapseln“ und „Blasen“

Schule startet: Deutschland hat den Schulstart im Corona-Jahr bereits weitgehend hinter sich. Am oder kurz nach dem 1. September startet nun in vielen Ländern weltweit das Schuljahr. Viele Regierungen zögern jedoch mit einer Rückkehr zum Alltag – niemand möchte die Fehler Israels oder Australiens wiederholen. Dort wurden die Kinder zu früh wieder zusammen in die Schulen gesteckt, eine zweite Coronawelle war die Folge.

Schule startet nicht: Bleiben die Schulen geschlossen, fällt für Millionen Schüler:innen der Unterricht aus. Weil es keine stabile Internetverbindung gibt, weil die Familien keine oder nicht genügend Computer oder Smartphones haben. Ein Drittel aller Schulkinder weltweit, vermeldete Unicef vergangene Woche, blieb im Lockdown von Bildung ausgeschlossen: mehr als 463 Millionen Kinder und Jugendliche.

Das taz-Dossier: Die taz bringt zum globalen Schulstart 2020 Berichte unserer Korresponent:innen aus den USA, Brasilien, Uganda, den Niederlanden, China und weiteren Ländern. Alle Texte gebündelt finden Sie nach und nach hier.

In den Richtlinien heißt es, dass Eltern ihre Kinder nicht in die Schule schicken sollen, wenn sie Symptome zeigen oder in engem Kontakt mit einer infizierten Person waren. Doch während die Bevölkerung das öffentliche Transportsystem so weit wie möglich meiden soll, sollen Kinder Schulbusse nutzen. Während sich ansonsten nicht mehr als sechs Menschen aus drei verschiedenen Haushalten in einem Privatraum aufhalten sollen, dürfen 30 Kinder in einem Klassenzimmer unterrichtet werden. Irland gehört zu den Ländern mit den überfülltesten Klassenzimmern in Europa.

Grundschulen sollen in „Kapseln und Blasen“ organisiert werden. In jeder Klasse gibt es mehrere „Kapseln“ aus vier bis sechs Kindern, die einen Meter Abstand zu anderen „Kapseln“ halten sollen. Jede Klasse bildet eine „Blase“, die mit anderen Klassen keinen Kontakt haben darf.

„In Irland werden Kinder mit vier Jahren eingeschult“, sagt Lyons. „Wie macht man einer Vierjährigen klar, dass sie mit ihren Freundinnen in anderen Kapseln nicht spielen darf? Was ist mit Kindern mit Migrationshintergrung, die aus demselben Land kommen, aber in verschiedene Klassen gehen?“

Auch Gary Gannon von der Sozialdemokratischen Partei kritisiert: „Es ist schwierig, optimistisch an einen halbwegs normalen Schulalltag zu glauben, wenn das Ministerium so viel Konfusion verbreitet.“

Corona-Ausbrüche vorprogrammiert

Die Bildungsministerin Norma Foley ist offensichtlich überfordert. Im Februar ist die 50-Jährige zum ersten Mal ins Parlament gewählt worden, im Juni wurde sie Ministerin. Ihre erste Amtshandlung bestand darin, einer Schule in ihrem Wahlkreis einen Zuschuss zu gewähren. Seit zwei Wochen ist sie abgetaucht und beantwortet keine Fragen der Medien – ausgerechnet in der entscheidenden Phase vor der Öffnung der Schulen.

Einen Punkt hat die Regierung allerdings deutlich gemacht: Die Öffnung der Schulen werde „garantiert zu Clustern von Corona-Ausbrüchen“ führen. Viele Eltern wollen ihre Kinder deshalb nicht zur Schule schicken. Darunter sind Eltern, die wegen schwerer Erkrankungen selbst zur Hochrisikogruppe zählen und befürchten, dass ihre Kinder das Virus nach Hause bringen.

Lehrkräfte hingegen können nicht zu Hause bleiben: Auch wer wegen einer Herzerkrankung, Diabetes oder einer Krebsbehandlung zur Hochrisikogruppe zählt, muss in die Schule.

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