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Seit dem 22. August drüber

Die Veranstalter der diesjährigen Fairen Woche rücken das 12. UN-Ziel „Nachhaltiger Konsum und Produktion“ in den Mittelpunkt der Diskussion. Das ist auch dringend nötig

Von Dierk Jensen

Sich ambitionierte Ziele zu setzen ist gut. Sie zu erreichen ist besser. Dies gilt auch für die von den Vereinten Nationen (UN) im Jahr 2015 im Rahmen der Agenda 2030 proklamierten Nachhaltigkeitsziele. Insgesamt sind es 17. Darunter solche Ziele wie „Keine Armut“ – „Kein Hunger“ – „Weniger Ungleichheit“ – „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“. Das zwölfte Ziel im kleinen UN-Katechismus trägt den Titel „Nachhaltiger Konsum und Produktion“. Davon ist die Weltwirtschaft trotz aller Bemühungen des fairen Handels sowie vieler politischer Bewegungen und Gewerkschafter weit entfernt.

Das lässt sich etwa am Earth Overshoot Day ablesen. Der Erdüberlastungstag zeigt an, zu welchem Zeitpunkt im jeweiligen Jahr die globale Nachfrage nach Ressourcen die Reproduktionskapazität des Planeten übersteigt. In diesem Jahr war es schon der 22. August; zum Vergleich: im Jahr 1976 lag der Earth Overshoot Day noch um den 1. Dezember herum. Mit anderen Worten: Die Zerstörung schreitet mit hohem Tempo voran; die Menschheit verbraucht mehr, als überhaupt nachwächst. Wir leben auf Pump. Während die Profite aus dem wirtschaftlichen Treiben obendrein noch extrem ungerecht verteilt sind, manifestieren sich die Nachteile am Raubbau an den Ressourcen, quasi sozialisiert im Klimawandel, und in der schwindenden Biodiversität – oder auch in der Plastikflut, die an vielen Küsten der Welt zu beobachten ist.

Abgesehen davon, dass Menschen unter diesem Tun schon jetzt ökonomisch und gesundheitlich leiden: Ungerechtigkeit herrscht auch an dieser Stelle, denn die ärmere Bevölkerung muss in der Regel für das wenige nachhaltige Handeln am Ende mehr Tribut zahlen, weil ihr der Zugang zu Medizin, sauberem Wasser und menschenwürdigem Wohnen oftmals verwehrt ist.

Wer sich also den Nachhaltigkeitszielen der UN verpflichtet fühlt, wie es die Akteure des fairen Handels seit vielen Jahren tun, der will es irgendwann auch nicht nur für seinen eigenen relativ kleinen Wirkungskreis, sondern fordert dies auch für den großen politischen Rahmen ein. „Der faire Handel steht vor der Wahl: Entweder wir machen weiter so, vergrößern unseren Umsatz, verbessern die Lebensbedingungen von einigen Tausend Menschen im Norden und Süden − davon profitieren wir selbst und fühlen uns ein bisschen besser als die anderen. Oder wir streben die große Transformation von unten an. Denn: Eine andere Wirtschaftsordnung ist möglich“, appellierte Gerd Nickoleit, Ehrenvorsitzender des Forums Fairer Handel, an die Fairhandels-Szenerie vor einiger Zeit eindringlich.

Ein Aufruf, der aktuell sicherlich auch an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gerichtet ist, liegt doch in dessen Ministerium aktuell ein Entwurf zum sogenannten Lieferkettengesetz in der Bearbeitungsschleife, das Arbeitsminister Hubertus Heil und Gerd Müller, seines Zeichens Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, gemeinsam vorgelegt haben. In diesem Lieferkettengesetz wollen die beiden Ministerien verbindliche Standards für deutsche Unternehmen auf den Weg bringen, um den globalen Handel von der Erzeugung bis hin zum Konsum sozialer und auch umweltverträglicher werden zu lassen. Damit wollen Müller und Heil die im CDU/SPD-Koalitionsvertrag einst vereinbarte Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele von 2015 wenigstens auf nationaler Ebene voranbringen. Versprach doch der CSU-Mann Müller schon bei der Eröffnungsrede zur Fairen Woche 2018: „Fair muss Standard sein.“

Dass die hehren Worte in der wirtschaftlichen Realität vieler deutscher wie auch ausländischer Unternehmen oft scheinheiliges Blabla sind, offenbarte sich in einer vom Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Auftrag gegebenen Studie. Darin zeigte sich, wie Minister Müller im Juli ernüchtert einräumen musste, dass sich viele deutsche Unternehmen nicht einmal an soziale und ökologische Mindestanforderungen halten. Um dies endlich zu ändern, will man das Lieferkettengesetz noch in dieser Legislatur auf den Weg bringen, so zumindest die Intention. Vorausgesetzt allerdings, dass Wirtschaftsminister Altmaier die Sache nicht zu lange aussitzt und am Ende doch keine Einigung vor Ende der Legislaturperiode erzielt wird.

Aber unabhängig der zaudernd anmutenden politischen Bühne entscheidet jeder Verbraucher bei jeder Konsumentscheidung an jedem neuen Tag für oder gegen etwas. Also auch, ob für oder gegen fair. Diese Entscheidungskraft liegt letztlich bei jedem Einzelnen. Dieses Motiv wird auch vom Motto der diesjährigen Fairen Woche aufgegriffen: „Fair statt mehr, Fairhandeln für ein gutes Leben“. Wie sagte doch eine Mitarbeiterin vom Weltladen-Dachverband in einer Reihe von Videobotschaften im Internet, die die Veranstalter der Fairen Woche in Zeiten von Corona produziert haben: „Ein gutes Leben ist für mich ein Leben ohne menschenverachtendes Handeln entlang globaler Lieferketten.“ Vielleicht kommt diese Haltung auch bei den Sachbearbeitern im Wirtschaftsministerium und bei Entscheidern in großen Unternehmen an. Die Zeit indes rennt.