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Schon mitten im rasanten Wandel

Fairer Handel braucht klimapolitisches Engagement: Beide Aspekte sind letztlich zwei Seiten einer Medaille. Produktion und Konsum müssen nachhaltig werden

Die Trockenperioden werden immer länger, Wasser ist bedrohlich knapp

Von Dierk Jensen

„Wir reden sehr viel über Corona, aber wir haben es ja teilweise mit klimatischen Herausforderungen zu tun, die ungleich größere Implikationen hervorbringen, wie wir sie derzeit im Osten in Ostafrika erleben, wo Ernten in diesem Jahr durch Fluten und Heuschreckenplagen zerstört wurden“, lenkt Dieter Overath, Vorstandsvorsitzender von Fairtrade Deutschland, den Blick weg von der aktuellen Pandemie hin zu den langfristigen Auswirkungen des Klimawandels. Dass entwicklungspolitische Arbeit heutzutage ohne eine Berücksichtigung von klimapolitischen Aspekten tatsächlich kaum noch nachhaltig sein kann, ist inzwischen allen entwicklungspolitischen Organisationen klar.

Auch die entwicklungspolitische Organisation der Evangelischen Kirche Deutschlands, die seit Jahrzehnten in vielen Projekten aktive „Brot für die Welt“, proklamiert inzwischen, dass das wichtigste Ziel auf politischer Ebene sein muss, „den Klimawandel mit einer umfassenden Klimapolitik so weit wie möglich zu begrenzen“. Kohleausstieg und der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien seien Forderungen, „die sich die Fair-Handels-Bewegung auch im Namen der Kleinproduzentinnen und Kleinproduzenten im Globalen Süden zu eigen machen kann“, ist in einer aktuellen Broschüre zu lesen.

Welche Dramatik sich in vielen Regionen der Welt tatsächlich heute schon abspielt, zeigt sich beispielsweise im Norden Kenias zur Grenze nach Südsudan und Äthiopien. Dort herrscht seit Jahren Dürre; vor allem rund um den Turkanasee, dessen Wasserspiegel seit vielen Jahren sinkt und durch zweifelhafte Dammprojekte von chinesischen Investoren auf der äthiopischen Seite noch weiter verschärft wird. Schon gegenwärtig müssen die Ziegen- und Schafhalter monatelang mit ihren Herden, weit entfernt von ihren Familien und Dörfern, durch verdorrte Steppen auf der Suche nach Fressbarem umherziehen. Die Trockenperioden werden immer länger, Wasser ist bedrohlich knapp, und die ohnehin schon geringen Erntemengen schrumpfen noch weiter.

Daher wären die im Norden Kenias betroffenen Viehhalter, nennen wir sie mal Kleinbauern, genau diejenige Klientel, die der Green Climate Fund eigentlich unterstützen will, ein milliardenschwerer Klimafonds mit Sitz in Südkorea, der im Zuge der internationalen Klimakonferenzen von der internationalen Staatengemeinschaft eingerichtet worden ist.

Ob die Hirten und Bauern rund um den Turkanasee jemals einen Dollar von den potenziellen Gebern bekommen werden, ist nur schwer vorstellbar. Abgesehen davon, dass die Bauern keine geladene Geldkarte brauchen, sondern vielmehr einen „warmen“ Regen vom Himmel und Gras für ihre Vierbeiner. „Die traurige Wahrheit der Klimakrise ist doch, dass die Zeche die Menschen zahlen, die am wenigsten dazu beigetragen haben – marginalisierte Bevölkerungsgruppen und KleinproduzentInnen weltweit. Um Klimagerechtigkeit zu erreichen, müssen wir die globalen Handels- und Geschäftsmodelle radikal ändern. Faire Handelspraktiken müssen ein integraler Teil von Klimapolitik werden“, fordert daher Andrea Fütterer, Vorstandsvorsitzende des Forums Fairer Handel und Abteilungsleiterin Grundsatz und Politik bei der Gepa.

Tatsächlich bleibt vielen Kleinbauern in Afrika genauso wie im Süden Asiens und in lateinamerikanischen Ländern angesichts von Dürren, Überschwemmungen und unvorhersehbaren Wetterereignissen keine andere Wahl, als ihre Felder zu verlassen, in die Städte zu ziehen oder gar auszuwandern. Millionen Menschen können ihre Ernährung nicht mehr sichern – eine Situation, die sich durch die Coronakrise aller Wahrscheinlichkeit noch weiter zuspitzen wird. Dadurch geraten der globale Frieden und die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung – unter anderem eben auch nachhaltige Produktion und Konsum – ernsthaft in Gefahr.

Nach Angaben entwicklungspolitischer Organisationen werde die weiter um sich greifende Klimakrise bis 2030 voraussichtlich mehr als 100 Millionen Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern unter die Armutsgrenze drängen. Falls keine rigorosen Anpassungsmaßnahmen mehr erfolgen, werden sich durch eine globale Erwärmung die landwirtschaftlichen Erträge bis zum Jahr 2050 weltweit um bis zu 30 Prozent verringern. Ein Horrorszenario, das unvorstellbare 500 Millionen kleine Agrarbetriebe auf der ganzen Welt betreffen würde.

„Hierzulande spüren wir den Klimawandel durch heiße Sommer und Starkregen. Für Kleinbauernfamilien im Globalen Süden sind klimabedingte Ernteeinbußen eine Existenzbedrohung. Hinzu kommen niedrige Weltmarktpreise“, merkt Overath an. „Ein gutes Klima braucht globale Gerechtigkeit. Dies geht nur durch gemeinsames Engagement von Wirtschaft, Politik und Konsumenten.“

Nicht zuletzt deshalb blickt der Globale Süden gebannt nach Europa, ob die EU das 1,5-Grad-Celsius-Limit aus dem Paris-Abkommen tatsächlich ernst nimmt. Wenn nicht, dann wird die klimapolitische Glaubwürdigkeit Europas vor allem auf dem afrikanischen Kontinent erodieren, wie afrikanische Nichtregierungsorganisationen immer wieder besorgt in die europäische Politik hineintragen. Da Kanzlerin Merkel um eine schwindende Glaubwürdigkeit der europäischen Klimapolitik weiß, setzt sie in der aktuellen deutschen EU-Präsidentschaft einen Schwerpunkt auf die interkontinentale Zusammenarbeit mit Afrika.

Dabei müsse die Entwicklungsfinanzierung klimarelevant sein, fordern Experten des fairen Handels: „Nationale Regierungen, Geberregierungen und die internationale Gemeinschaft müssen vor allem die Unterstützung für klimaresiliente landwirtschaftliche Existenzen, insbesondere für Kleinbauern und vor allem Kleinbäuerinnen, aufrechterhalten und weiterhin in die Bekämpfung von Unter- und Fehlernährung investieren.“

Wenn das nicht gelingt, werden sich Millionen Menschen, darunter auch sicherlich welche aus der Großregion um den Turkanasee, auf den Weg machen, dorthin zu emigrieren, wo sie Chancen sehen zu überleben. Und dabei im schlechtesten Fall Gefahr laufen, an der griechisch-türkischen Grenze hängenzubleiben.