Geflüchtete auf Lesbos: Erster Coronafall in Moria

Die Behörden wollen nachvollziehen, mit wem der Betroffene Kontakt hatte. Angesichts der katastrophalen Bedingungen im Camp wird das schwierig.

Männer in Warnwesten und mit Mundschutzmasken verteilen ebensolche Masken vor einem zelt

Moria, im März 2020: Freiwillige einer NGO verteilen Mundschutzmasken und Seife an die Menschen Foto: Murat Türemis

BERLIN taz | Im Geflüchtetenlager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist der erste Fall von Covid-19 festgestellt worden. Nach Angaben lokaler Medien handelt es sich bei dem Infizierten um einen 40-jährigen Mann aus Somalia. Er war bereits als Flüchtling anerkannt worden und hatte die Insel verlassen dürfen. Am 17. Juli ging er nach Athen. Dort habe er aber auf der Straße leben müssen und war deshalb am 28. August nach Lesbos zurückgekehrt.

Am Dienstagabend wurde er mit Fieber in das lokale Krankenhaus eingeliefert. Dort wurde die Lungenkrankheit diagnostiziert. Unklar ist, ob er sich in Athen oder im Lager angesteckt hat. Die Behörden versuchen, nachzuvollziehen, mit wem er in Moria Kontakt hatte.

Das dürfte schwierig werden. Denn in dem für 3.000 Menschen ausgelegten Camp sind derzeit rund 16.000 Menschen unter katastrophalen Bedingungen untergebracht. Sie stehen täglich mehrere Stunden für Essen, Wasser und Toilettengänge in Schlangen. Abstand und Hygienemaßnahmen sind in dem Lager nicht einzuhalten. Die Gesundheitsversorgung ist auf ein Minimum reduziert.

Die Ministerien für Katastrophenschutz, Gesundheit sowie Einwanderung und Asyl entschieden nach Bekanntwerden des Falls am Mittwoch, bis zum 15. September eine komplette Quarantäne über das Lager in Moria zu verhängen. Nach einer Fiebermessung dürfe nur noch Sicherheitspersonal das Lager betreten. Wie unter diesen Umständen die Versorgung der BewohnerInnen gewährleistet werden kann, ist unklar.

Evakuierung der Lager seit Monaten gefordert

Hilfsorganisationen hatten seit Monaten vor einem Ausbruch der Krankheit in dem Lager gewarnt und dringend eine Evakuierung der Insassen gefordert. Bereits im März hatten die griechischen Behörden eine Ausgangssperre verhängt, die immer wieder verlängert wurde – bis heute. Nur 120 Menschen pro Tag durften mit besonderer Erlaubnis das Lager verlassen, etwa für dringende Arztbesuche.

Ende Juli ließen die griechischen Behörden ein Isolationszentrum für Covid-19-Verdachtspatienten neben dem Lager in Moria schließen. Ärzte ohne Grenzen hatte die Einrichtung mit anderen medizinischen Organisationen auf der Insel sowie mit Unterstützung der Behörden und des lokalen Krankenhauses am 6. Mai eröffnet. Im Juli hatten die Behörden Strafen für den Betrieb des Zentrums verhängt – wegen angeblicher Verstöße gegen die Stadtplanungsverordnung.

Die Lage auf der Insel dürfte sich nun auch deshalb verschärfen, weil Lesbos schon ohne den Fall aus Moria ein großes Covid-19-Problem hatte. Seit Anfang August registrierten die Behörden auf der Insel mit gut 80.000 EinwohnerInnen einen starken Anstieg von Corona-Infektionen: Bis Anfang September steckten sich 106 Menschen an. Im Inselkrankenhaus werden rund zwei Dutzend Coronapatienten behandelt. Sechs Menschen sind auf Lesbos an Corona verstorbenen, davon vier seit Anfang August. Die Insel lebt maßgeblich vom Tourismus, der für einen Teil des lokalen Infektionsgeschehens verantwortlich ist.

Mitte August war der erste Coronafall in einem Flüchtlingscamp auf den Ägäis-Inseln bekannt geworden. Ein 35-jähriger Mann aus dem Camp Vial auf der Insel Chios hatte sich angesteckt. Er wurde im Krankenhaus der Insel isoliert. Die weitere Ausbreitung konnte somit gestoppt werden.

Gesundheitsinfrastruktur schon jetzt an Belastungsgrenze

„Monatelang wurden die Warnungen von Selbstorganisationen, medizinischem Personal und Hilfsorganisationen vor Ort in den Wind geschlagen“, sagt Ramona Lenz von der Hilfsorganisation medico international. „Wenn sich nun weitere Menschen anstecken oder schon angesteckt haben und nicht angemessen versorgt werden, ist das eine Katastrophe, die vermeidbar gewesen wäre.“

Mit über 100 Fällen unter den Einwohnerinnen und Einwohnern der Insel und einer begrenzten Anzahl von Intensivbetten sei die lokale Gesundheitsinfrastruktur bereits jetzt an der Belastungsgrenze. Sollte sich das Virus auf der Insel weiter ausbreiten, könne eine angemessene medizinische Versorgung der Betroffenen nicht mehr sichergestellt werden.

Medico international fordert die sofortige Evakuierung von Alten, Kranken und Verwundeten aus dem Lager sowie die Verbesserung der Infrastruktur in Moria, so dass sich alle, die vorerst dort bleiben müssen, vor dem Virus schützen können. Langfristig müssen derartige Massenunterkünfte, die die grundlegenden Rechte der Menschen verletzen, aufgelöst werden.

Angesichts der Tatenlosigkeit der Behörden habe das von medico international unterstützte Moria Corona Awareness Team, eine von Geflüchteten aufgebaute Organisation, bereits im März die Coronaprävention im Lager selbst in die Hand genommen. Lange Zeit habe die Organisation einem Ausbruch des Virus entgegenwirken können. Da sich jedoch nichts an den desolaten Lebensbedingungen änderte, sei ihnen nur die wiederholte Warnung vor den gravierenden Folgen einer Verbreitung des Coronavirus im Lager geblieben.

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