Pia Paust-Lassen über Klima-Extreme, die Umwelt-Un-Gerechtigkeit verschärfen
: Die Veränderung des Klimas hat direkte Auswirkungen auf die Gesundheit

Extremwetterereignisse wie z. B. Hitzewellen sind direkt verknüpft mit teilweise neuen Gesundheitsgefahren. Krankheiten, die durch so genannte Vektoren übertragen werden, etwa Zecken oder eingeschleppte exotische Mückenarten, breiten sich aus. Auch allergische Atemwegserkrankungen durch invasive Pflanzenarten, klimabedingte psychische Erkrankungen sowie die Zunahme von Hautkrebserkrankungen und vermehrt vorzeitige Todesfälle durch Luftschadstoffe sind Folgen von Klimaveränderungen. Wie sich bestehende Unterschiede für die Lebensqualität der Gesellschaft verschärfen, kann durch Umweltgerechtigkeitskonzepte veranschaulicht werden.

Für Berlin wurde in den Jahren 2010 bis 2013 – bundesweit erstmalig – ein zweistufiges Umweltgerechtigkeitsmonitoring entwickelt. Dieses Stadtbeobachtungssystem besteht aus einem umweltbezogenen „Kernindikatorensatz“, der durch gesundheitsorientierte, soziale und städtebaulich-stadtplanerische „Ergänzungsindikatoren“ fachlich-inhaltlich untersetzt wird.

Die Berliner Umweltgerechtigkeitskarte 2014 zeigt an, dass der größte Teil der drei-, vier- und fünffach belasteten Quartiere im hochverdichteten „erweiterten Innenstadtbereich“ liegt. Die kleinräumigen kartografischen Darstellungen und die dahinterstehenden raumbezogenen Daten machen die quartiersbezogene Betroffenheit besonders deutlich. Sie zeigen den politischen Entscheidungsträgern, wo der Handlungsbedarf besonders groß ist.

„Wichtig ist, dass die Ergebnisse in die strategischen Konzepte sowie informellen und formellen Instrumente der Stadtentwicklung und der Umweltplanung eingehen“, betonte Heinz-Josef Klimeczek 2019 beim Forum Nachhaltigkeit von Berlin 21. „Für eine erfolgreiche Strategie zu mehr Umweltgerechtigkeit ist die Entwicklung integrativer Planungsinstrumente und geeigneter Rahmenvorgaben und -bedingungen erforderlich“, sagte er.

Auch mit Blick auf das Ziel „Klimaneutralität Berlin 2050“ müssen die Ergebnisse dieser Datenerfassung größere Bedeutung erlangen, denn die Gebiete mit Mehrfachbelastungen sind gleichzeitig die vulnerablen Gebiete im Hinblick auf den Klimawandel.

Wie wäre es, wenn die Menschen in ihrem Kiez sich selbst um ihre Umweltbelastungen kümmern könnten, indem sie sich gegen Veränderungen ihrer unmittelbaren Umwelt zur Wehr setzen könnten? Welche Verfahren müssten etabliert werden, damit vor Ort erfasste Messergebnisse – etwa aus dem BLUME-Messnetz – allen Bewohner*innen zugänglich werden, und nicht nur Expert*innen zur Verfügung gestellt werden?

Es gibt auch eine relativ aktive Szene von Bastlern, die sich selbst Geräte für die Luftwertemessung basteln; im Internet gibt es dafür Anleitungen, was belegt, wie groß das Wissensbedürfnis in der Bevölkerung ist und dass das eine ganz wichtige Ebene politischer Mitbestimmung ist.

Könnte die Regierung in Berlin deutlich mehr machen und zum Beispiel solche Geräte beziehungsweise Bastelanleitungen zur Verfügung stellen – oder zumindest Orte schaffen, an denen man so etwas basteln oder ausleihen kann?

Das Thema Umweltgerechtigkeit muss also weiter entwickelt und vor allem auch dringend aktualisiert werden. Die Modellbezirke haben ihre Arbeit begonnen, daher fand im Januar 2020 eine bezirkliche Konferenz in Tempelhof-Schöneberg zur Umweltgerechtigkeit statt, in der Staatssekretär Stefan Tidow betonte, „an der Schnittstelle von Stadtentwicklungs-, Umwelt-, Gesundheits- und Sozialpolitik liefert das Thema Umweltgerechtigkeit einen aktiven Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Die Herausforderungen, denen sich Berlin in diesem Zusammenhang stellen muss, erfordern integriertes Handeln von Politik und Verwaltung unter Einbindung aller gesellschaftlichen Akteure.“

Es gibt berechtigte Zweifel daran, dass die „Smart-City-Strategie“ (siehe taz vom 12./13. 9.) einen konstruktiven Beitrag zu diesen dringlichen Problemen wird liefern können.

Pia Paust-Lassen von Berlin21-RENNmitte lehrt an der ASH im Masterstudiengang Bildung für nachhaltige Entwicklung.