Klimabewegung und Kapitalismuskritik: Ein neues System, aber wie?

Marktwirtschaft, die alles in Konkurrenz stellt, ist keine gute Grundlage für große Veränderungen. Ein Plädoyer für eine ganz neue Gesellschaftsform.

Transparent mit der Aufschrift System Change

System Change: eine große Forderung. Oder die größte Foto: Gina M. Randazzo/imago, Warming Stripe: showyourstripes.info

Bagger besetzen, von einem Plenum ins nächste rennen, Telefonkonferenz um Telefonkonferenz. Unglaubliche Bewegungserfolge feiern. Im Hambi unter Bäumen stehen, von denen alle dachten, sie wären längst gefällt. In über 400 Orten Klimagruppen. Die größte Demo der Nachkriegszeit. Und zeitgleich ein unglaublicher Stillstand der politischen Veränderung. Ein Kohleausstiegsgesetz, das eigentlich Kohleeinstiegsgesetz heißen sollte. Während Kipppunkte erreicht werden.

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Unsere Antwort darauf: mehr Bagger besetzen, mehr Plena, mehr Telefonkonferenzen, für größere Demos, um mehr Druck auszuüben. Um die Regierung zum Handeln zu bewegen, weil sie die einzige zu sein scheint, die unsere Anliegen umsetzen kann.

Was, wenn ihre Untätigkeit nicht daran liegt, dass wir noch nicht genug Druck aufgebaut haben? Was, wenn unsere Demosprüche wahr sind und wir das Klima nicht im Kapitalismus retten können?

Die Marktwirtschaft setzt Unternehmen und Staaten in Konkurrenz. Unternehmen wollen nicht nur Profit machen und wachsen, sie müssen es sogar, um gegen die Konkurrenz zu bestehen. Auch der Staat, an den wir appellieren, konkurriert mit anderen Staaten um Wachstum und Arbeitsplätze. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass all die klimaschonenden und sozialen Forderungen, die wir stellen, umgesetzt werden. Bei System Change geht es also nicht darum, wie einzelne Bereiche CO2-neutraler sein könnten. Die technischen Lösungen sind da. Die Frage ist: Unter welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind sie umsetzbar?

Ist eine Öko-Weltinstitution die Lösung?

Viele antworten mit internationalen Vereinbarungen oder gar einem Weltstaat. Nach 25 gescheiterten Klimakonferenzen scheint dies unwahrscheinlicher denn je, aber wäre es denn erstrebenswert? Eine Öko-Weltinstitution müsste enorm viel Macht bündeln, um sich gegen die Logik der Unternehmen durchzusetzen. Ein solch starker Staat wäre anfällig für autoritäre oder gar faschistische Neustrukturierung. Und wahrscheinlich würde auch die Ökologie bald in den Hintergrund geraten. In einer Gesellschaft, die nur funktioniert, wenn die Menschen für Lohn arbeiten.

So wird die Politik sich durchsetzen, die gute Konsummöglichkeiten bietet. Das legt Politiker*innen nah, vor allem auf gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu achten – um diese Politik dann grün anzupinseln. Ein starker Weltstaat würde wohl kaum ökologische, vor allem aber keine demokratisch-emanzipatorische Politik machen. Dafür wäre er in seiner Macht zu unabhängig von uns und zu abhängig von der Wirtschaft.

Eine neue Gesellschaftsform

Also müssen wir mutig genug sein, um zu sagen: Wir brauchen eine neue Gesellschaftsform. Wir müssen die Bedingungen, unter denen wir handeln, grundlegend verändern. Und das können wir. Denn auch diese Bedingungen, die uns so natürlich erscheinen, sind mensch­gemacht. Und veränderbar.

Doch wie könnte eine politische Praxis aussehen, die nicht nur versucht, die Regierung zu zwingen, ein winziges Stückchen auf uns zu zugehen? Eine neue Gesellschaft fällt nicht vom Himmel. Sie entsteht im Alten, aus den Widersprüchen, Rissen und Ritzen, in denen das Leben lustvoll rebelliert. Sie schlummert als Keimform in dem, was wir alltäglich leben.

Transformation lässt sich weder als ein Marsch durch die Institutionen vorstellen, weil bei dem letztendlich nichts grundlegend anderes herauskommen kann, noch wie eine Eroberung der politischen Macht und einer Umstrukturierung von oben, weil die Aufgabe nicht ist, den Staat zu verändern, sondern Autorität durch Demokratie zu ersetzen.

Stattdessen geht es darum, in unseren Kämpfen und darüber hinaus das herauszubilden und zu betonen, was eine neue Gesellschaft ausmachen könnte. Unsere Bewegung weiter jenseits von Markt und staatlicher Autorität organisieren. Commons und solidarische Beziehungen aufbauen, füreinander sorgen, während wir miteinander kämpfen.

Um dann im richtigen Moment, im Kairos der Veränderung, diese Praxen auf den gesamten gesellschaftlichen Raum auszuweiten.

Dieser Systemwandel ist nicht nur das, was uns die Möglichkeit gibt, die Klimakrise aufzuhalten. Sondern er ist auch unsere Chance auf ein gutes Leben für alle.

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Klima-Aktivist*innen übernehmen die taz: Am 25. September erscheint eine taz. die klimazeitung – geschrieben und konzipiert von Aktivist*innen. Sie schreiben, was die Klimakrise mit Rassismus gemeinsam hat und entwickeln konkrete Utopien. Alle Texte dazu finden Sie online in unserem Schwerpunkt Klimagerechtigkeit.

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