Ernährungsexpertin über Schulessen: „Mehr als nur gesund“

Schulkantinen sind Bildungsorte und ein riesiger Hebel für eine bessere Landwirtschaft, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Anke Oepping.

Ein Scvhüler hält eine Apfel

„Aber es ist auch wichtig, dass die Kinder wissen, was sie essen“ – in einer Schulkantine in Berlin Foto: Florian Gärtner/photothek/imago

taz: Frau Oepping, auf die Frage an den Erstklässler, wie das Essen in der Schule schmecke, erhielt ich neulich die Antwort: Eklig! Die tun Möhren in die Tomatensauce! Wie erkenne ich, ob ein Kind gutes Schulessen bekommt?

Anke Oepping: Tja, das ist die Frage: Sollen es nur die Eltern erkennen oder nicht auch die Kinder? Die Kinder müssen gleichberechtigt mitreden können, denn sie entscheiden, ob und was sie essen. Zudem sind Geschmacksfragen alters- und kulturspezifisch. In Westfalen sagt man, das Gras muss der Kuh schmecken, nicht dem Bauern. Ich muss also sehr genau schauen, welche Kinder gehen in meine Schule, in welchem Alter und welcher Ethnie oder Kultur gehören sie an. Gutes Essen heißt nicht nur, dass es gesund ist, die Ansprüche sind vielfältiger.

Aber wie misst man dann „gutes Essen“?

Es gibt die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, der DGE, die definieren, was ernährungsphysiologisch gut ist. Aber es ist auch wichtig, dass die Kinder wissen, was sie essen. Das Thema muss als Bildungsaufgabe begriffen werden. Verpflegung in der Schule ist ein System, in dem viele Räder ineinandergreifen müssen.

Gibt es verlässliche Daten dazu, ein gutes Monitoring?

Bedauerlicherweise gibt es keine systematische Daten­erhebung. Wir haben zwar einige Studien, aber keinen bundesweiten, systematischen Überblick. Bildung ist eben Ländersache.

Welchen Stellenwert hat das Essen in den Schulen denn – gilt immer noch, Hauptsache satt?

Das ist sehr unterschiedlich, da können wir nicht auf Zahlen, Daten, Fakten zurückgreifen. Der Stellenwert steht und fällt mit der Schulgemeinde, also mit der Schulleitung, dem Kollegium und mit der Kommune, in die sich die Schule einordnet. Ist etwa der DGE-Qualitätsstandard im jeweiligen Bundesland verpflichtend, herrschen schon einmal andere Bedingungen. Wichtig ist, das Schulessen nicht isoliert zu betrachten, sondern es als Ernährungssystem zu begreifen.

Was heißt das?

Ein Beispiel: Mensa-Gremien sind wichtige Austauschformate, in denen Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern sowie idealerweise auch der Caterer und der Träger versammelt sind. So ein Gremium ist gut, weil dort die Ansprüche und Erwartungen, aber auch die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten diskutiert werden können …

… das kann aber auch ein hübscher Kampfplatz werden, die einen wollen bio, die anderen billig!

Darum geht es doch, es gibt nicht die eine Lösung, sondern nur einen gemeinsamen Weg. Schulessen ist kein Wunschkonzert, wir müssen Erfahrungen und Argumente austauschen und abwägen. Wenn die Schul­träger Verträge mit Caterern abschließen, binden sie sich meist länger, zwei, drei Jahre. Darum ist es wichtig, dass alle transparent beteiligt werden.

Mehr Beteiligung ist der Schlüssel zu besserem Essen?

Nein, so einfach ist es nicht, auch wenn Beteiligung ein wichtiger Beitrag ist. Wenn in solchen Gremien Entscheidungen getroffen werden und die Ergebnisse nicht konstruktiv eingespeist werden, dann bleibt das eine Farce. Das Gleiche gilt für Standards ohne Kontrollen. Deswegen hat Berlin beispielsweise sogenannte Qualitätskontrollstellen „Schulessen“ eingerichtet. Ansonsten ist Papier natürlich geduldig, und vor Ort verbessert sich wenig.

Laut Statistik gehen die SchülerInnen mit zunehmendem Alter immer seltener in die Kantine. Was kann eine Schule tun, damit die Kinder sich nicht ab der Mittelstufe um die Ecke Chips und Brötchen zu Mittag kaufen?

ist promovierte Oecotrophologin und leitet das Nationale Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule im Bundeszentrum für Ernährung.

Kinder haben jeweils ihrem Alter entsprechende Entwicklungsstufen. Dazu gehört, in zunehmendem Alter mehr Autonomie zu entwickeln, und das wird auch auf dem Schauplatz des Essens ausgetragen. Jugendliche wollen eine eigene Esskultur und stellen bestimmte Ansprüche an das Sozialevent Essen. Fastfood bietet da anderes an als die Gemeinschaftsverpflegung in der Schule. Aber man kann Jugendliche ganz gut begeistern, wenn man fragt, was sie sich wünschen. Können sie sich beim Mittagessen austauschen, sich treffen oder auch zurückziehen? Eine Kommune im Ruhrgebiet hat beim Mensabau auf Anregung der Schülerinnen und Schüler Lounge-Ecken zum Chillen integriert. Das funktioniert gut, die Verpflegung steht nicht mehr so sehr im Vordergrund, sondern die Kantine als ein gemeinsamer Ort, an dem auch gegessen wird.

Es geht ja um die meist wichtigste Mahlzeit von Millionen von Kindern – nehmen Bund, Länder und Kommunen das Thema ausreichend ernst?

Nach unseren Maßstäben: nein. Ich habe allerdings großes Verständnis für die Beteiligten, wenn ich sehe, welche Aufgaben sie bewältigen müssen, Stichwort Lehrermangel. Ernährung ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Vor allem: Die heutigen Kinder gestalten unsere Ernährungszukunft von morgen und übermorgen. Ernährung hat einen großen sozialen, wirtschaftlichen, umwelt- und klimabezogenen Fußabdruck. Wir haben die Kinder mindestens zehn Jahre in der Schule, die Zeit müssen wir nutzen, damit sie das Rüstzeug für diese Gestaltung mitbekommen.

Warum spielt nachhaltige Beschaffung dann dabei keine Rolle? Das wäre doch ein Riesenmarkt für die ökologische Landwirtschaft …

Selbstverständlich, wir haben hier einen riesigen Hebel. Wir können in den Schulen nachhaltig beschaffen und bei den Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein dafür schaffen. Das passiert ja auch schon, auf Ebene des Bundes ist nachhaltige Beschaffung ein großes Thema. Und die DGE überarbeitet ihre Qualitätsstandards in diesem Sinne, dort wird Nachhaltigkeit entlang der ganzen Wertschöpfungskette eine große Rolle spielen. Aber wir stehen hier insgesamt noch am Anfang.

Wie verankert man Nachhaltigkeit in der Kantine? Häufig bieten die Caterer nur ein Biogericht an, und letztlich essen die Kinder doch konventionelle Bolognese-Sauce.

Nachhaltigkeit beim Schul­essen wird viel zu wenig kommuniziert. Es wird viel zu wenig erklärt, warum es nicht täglich Fleisch geben muss. Es ist wichtig, dass alle verstehen, warum etwas geschieht. Oder dass Kinder beispielsweise erst einmal probieren können, bevor sie eine ganze Portion auf den Teller bekommen. Das wäre ein Weg zu weniger Lebensmittelabfällen und mehr Ernährungsbewusstsein, aber dazu fehlt meist die Zeit. Die Schulkantine selber muss noch viel mehr als Lernort begriffen werden.

Brauchen wir mehr Geld im System?

Möglicherweise auch, ja. Wenn es darum geht, dass mehr Lehrer und Lehrerinnen eingestellt oder weitergebildet werden, dann müssen Länder und Bund eine gemeinsame Kraftanstrengung unternehmen. Es würde helfen, wenn die Kultusministerkonferenz sich dieses Themas noch einmal annähme und das Signal gäbe, dass alle 16 Länder das Thema Ernährung in der Schule ganz nach oben auf die Agenda setzten. Unsere Kinder sollten uns das wert sein.

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