Diskurse der Genoversammlung 2020: Ins Rampenlicht

Eine neue digitale Form und die traditionelle Lust am Diskurs prägten die taz-Genoversammlung.

taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann im Gespräch beim Livestream der taz Genoversammlung 2020 Foto: Piero Chiussi

Von ULRICH GUTMAIR

Die Pandemie hat der taz einen tüchtigen Innovationsschub versetzt. Die Produktion von Podcasts und Videos – für Social-Media-Ströme wie mittels des taz Talks – gehört nun genauso zum Redaktionsalltag wie die Morgenkonferenz per Videomeeting. Die neue Chefredakteurin Ulrike Winkelmann formuliert es in ihrer Vorstellungsrede so: „Die taz ist Medienhaus und sendet auf vielen Kanälen.“

Samstagvormittag im taz Neubau, die lichtdurchflutete Kantine im Erdgeschoss ist für die taz-Genossenschaftsversammlung in eine Art TV-Studio umgewandelt geworden. Treffen die Genoss:innen der taz für ihre alljährliche Generalversammlung normalerweise im Haus der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte zusammen, verfolgen sie diesmal die Diskussion nicht nur um das wirtschaftliche Befinden der taz per Livestream.

Auf ihren Bildschirmen sehen sie nun vier grüne Sessel mit stetig wechselnder Besetzung, im Hintergrund opulent gewachsene Zimmerpflanzen flankiert von Sonnenblumen, ein Talkshowsetting. Zwei Kameras zeichnen die Gespräche auf. Wenn man im Studio sitzt, zeigt sich, was es für ein Aufwand ist, Bilder live herzustellen, die mit dem Fernsehen konkurrieren können.

Nicht-migrantische Leitartikler

Chefredakteurin Barbara Junge befragt am frühen Nachmittag den Zeit-Reporter Yassin Mu­sharbash. Am Beginn seiner journalistischen Karriere hat er ein Praktikum bei der taz gemacht hat, einige Jahre später saß er mit den taz-Kolleg:innen Doris Akrap und Deniz Yücel bei den „Hate Poetry“-Performances auf der Bühne und las rassistische Leser:innenpost vor. Heute ist er da, um über den Umgang von Medien mit Rassismus zu sprechen.

Foto: Piero Chiussi

Barbara Junge liest einen Tweet vor, in dem sich Musharbash über die „Klassensprecherhaftigkeit“ so mancher nichtmigrantischer Leitartikler echauffierte. Der Zeit-Kollege sagt dazu, ihm fehle bei diesen Kollegen schlicht ein Gefühl der Erschütterung. Das Thema Rassismus werde in den deutschen Medien „weggemanagt“, dann sei wieder Ruhe im Karton: „Das kann nicht so bleiben.“

Aber immerhin gebe es nun eine kritische Masse von Journalis:tinnen, „die eine Migrationserfahrung mit sich herumtragen, die Persons of Colour sind“, die den Diskurs mitgestalteten. Der taz gesteht Musharbash zu, in Sachen Diversität anderen Medien voraus zu sein. Dann aber kritisiert er Texte, denen es nicht darum geht, etwas zu vermitteln, sondern nur darum, eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Das sei eine legitime aktivistische Methode – aber kein Journalismus.

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Die meisten „deutschweißen“ Redaktionsmitglieder in den Medien akzeptierten inzwischen, dass es ein Recht auf Selbstbezeichnung gibt, und darauf, Verletzungen zu artikulieren, sagt Mu­sharbash. Er warnt aber davor, eine „Selbstoptimierungsnummer“ abzuziehen: Es dürfe nicht heißen, „seit ich vegan lebe, geht’s mir besser, und seit ich mich drei Minuten lang mit meinem eigenen Rassismus beschäftigt habe, bin ich ein besserer Mensch“. Beim Umgang mit der Klimakrise seien viele Journalisten schon weiter.

Klimaleugner als Auskunftsgeber?

Um die sich abzeichnende Klimakatastrophe geht es im anschließenden Gespräch zwischen taz-Klimahub-Redakteurin Leonie Sontheimer und taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann. Sie stellt ihrer taz-Kollegin kritische Fragen: Was macht ihr – und warum macht ihr es so? Leonie Sontheimer ist mit drei anderen Kolleg:innen für das Klimahub der taz verantwortlich, ein Projekt, das sich auf Social-Media-Kanälen an die jüngere Generation von Klimaaktivist:innen richtet.

Winkelmann fragt, ob das Klimahub jenseits des Prinzips der Ausgewogenheit operiere, Sontheimer stellt die Gegenfrage, was die Forderung nach Ausgewogenheit in diesem Kontext wolle? Zu lange seien Klimawandelleugnende als gleichberechtigte Auskunftgeber befragt worden. Dem Klimahub gehe es auch nicht darum, die Illusion der Influencer:innen und ihrer Klientel zu nähren, man müsse nur sein Konsumverhalten ändern. Denn das reicht nicht.

Die Lage ist dramatisch, und so will Winkelmann wissen, wie schwarz sie gemalt werden darf, um die Leute nicht zu erschrecken? Sontheimer sagt: „Wenn Leute panisch werden, darf uns das nicht davon abhalten zu sagen, was ist.“ Beim späteren Talk im Livestream mit Luisa Neubauer geht es kaum weniger ernst zu. Die nächsten Klimastreiks von Fridays for Future sind bereits geplant.