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: Bevor die Gondeln Raucher tragen

Als ich vom S-Bahnhof Sonnenallee nach Hause stiefele, sehe ich es: Kreisrund und bunt leuchtend steht es wie bestellt und nicht abgeholt auf dem Estrel-Parkplatz. Hat der Bezirk ein Riesenrad gespendet, damit der Anblick der Betonwüste des verlängerten Autobahnabschnitts erträglicher wird? Nein, kein Grund zur Freude, bloß ein weiteres Ärgernis: Was anmutet wie ein Kinderspaß, geparkt gleich neben dem McDonald’s, entpuppt sich als größenwahnsinnige Marketingkampagne eines Tabak-Start-ups. Das fünfzig Meter hohe „glo-wheel“ gewährt ausschließlich Rauchern Zugang.

Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit gesunden Lungen müssen zu Hause bleiben. Drei Tage lang kostenlos am Rad drehen für „volljährige Raucher“, die sich im Internet ihren Slot reservieren und am Eingang sowohl Alter als auch Nikotinabhängigkeit nachweisen. Ich will laut lachen: Das soll doch wohl ein Scherz sein! Nein, ist kein Scherz, ist ernst: Die Geldmaschinerie macht vor und für nichts halt – auch nicht in Coronazeiten.

Aber ich sehe gar nicht ein, mir von der Tabakindustrie den Spaß vermiesen zu lassen: Im Handumdrehen bin ich auf der Website und buche Tickets.

Pünktlich um 14 Uhr schlage ich auf: Eine Passantin mit einem kleinen Jungen an der Hand fragt, ob er auch mal fahren dürfe. „Nein“, verneint der Wachmann, „nur Nikotinnutzer.“

„Sind Sie Raucher?“

„Ja“, erwidere ich und rücke eine Position vor, bis an den Goodie-Bag-Stand.

„Sind Sie Tabakkonsumentin?“ – „Ja“, erwidere ich und darf wählen zwischen verschiedenfarbigen Tabakerhitzern. „Orange“, sage ich und widme mich der spannenderen Frage: süß, sauer, salzig, fruchtig?

„Süß“, säusele ich und erhalte mein Proviantpaket, um wiederum ein Feld vorzurücken. Dort begrüßt mich eine junge Promoterin im gebrandeten Trainingsanzug, der auf Fotos leuchtet. „Schick“, sage ich. „Ja“, antwortet sie, „dürfen wir aber nicht behalten.“

Unter Einhaltung der Abstandsregeln, schließlich liegt einem Tabakerhitzer-Start-up unsere Gesundheit am Herzen, führt sie uns auf eine markierte Fläche, wo wir „auf Schaukeln oder in Sesseln chillen und rauchen können“.

Vier Sorten stehen zur Auswahl: süß, fruchtig, stark, schwach.

Ich lache: „Das sind die Sorten?“

„Ja“, sagt sie, „also nein, das ist auf jeden Fall der Geschmack. Die Sorten sind“, sie hält inne, liest, „Limettenöl & Zitrone, Tabak, Apfel auf Tabak, Kaffee auf Tabak.“

Mit meinem Tabakerhitzer, bietet sie an, könne ich jetzt „probieren und chillen“. Ob ich denn schon Erfahrung mit E-Zigaretten hätte. „Nein“, erwidere ich. Der Mann neben mir zückt prompt sein Gerät. Sie könne sich ihm zuwenden, teile ich ihr mit, bloß eine Frage: „Wann kann man aufs Riesenrad?“

„Erst die Einführung“, vertröstet sie mich, „aber wenn du nicht rauchen willst, kannst du auch einfach chillen.“ Also chille ich und beobachte meinen Nebenmann.

Der schaut wenig begeistert: „Sie können ruhig ehrlich sein“, ermuntert die Promoterin.

„Dit hat gar keenen Effekt“, brummelt der Mann.

„Ne...“, erwidert die Promoterin.

„Und keenen Geschmack.“

„Sie können gern noch mal eine andere Sorte probieren.“

„Nee“, sagt der Mann, „lass ma. Da musste so dolle dran ziehn, dit kratzt im Hals.“ Das schmecke zwar nach nichts, erklärt die Promoterin, da der Tabak jedoch lediglich erhitzt und nicht verbrannt würde, sei diese Art des Rauchens deutlich weniger schadstoffbelastet. „Das ist für so Leute“, klärt sie uns auf, „die gesünder leben wollen und rauchen.“ Und wie sie das denn so fände? Na ja, antwortet unsere Promoterin, sie repräsentiere hier ja die brand. Deswegen dürfe sie auch nichts Schlechtes sagen. Aber sie sage es mal so: „Shishan ist das nicht.“ Marielle Kreienborg