„Ich sehe Beirut von Berlin aus viel schärfer“

Said Baalbaki lebt in Berlin und Beirut und sucht in seiner Kunst nach einem Begriff von Heimat. In der Stipendiatenausstellung „In weiter Ferne so nah“ im Haus am Lützowplatz ist sie zu sehen

Said Baalbaki: „La ikraha fi Eddin“ (Kein Zwang im Glauben/Sure 2:256), 2020, Messing Foto: Haus am Lützowplatz

Interview Sebastian Strenger

Vor 20 Jahren machte sich Said Baalbaki aus Beirut auf, in Berlin Malerei zu studieren, entsprechend dem Rat des syrischen Malers und späteren Professors der Universität der Künste in Berlin, Marwan Kassab-Bachi. Seither sucht Baakbaki in seiner Kunst nach einem Begriff von Heimat zwischen den Kulturen. Derzeit ist die Arbeit des 1974 in Beirut geborenen Künstlers in der Stipendiatenausstellung des Auswärtigen Amtes im Haus am Lützowplatz zu sehen; „In weiter Ferne so nah“ ist der Titel der Schau. Ein Gespräch über Baalbakis Heimatstadt Beirut, seine künstlerische Entwicklung und die Betroffenheit nach der Explosionskatastrophe Anfang August in Beirut.

taz: Herr Baalbaki, was zeigt die Ausstellung von Ihnen?

Said Baalbaki: Es ist eine Gürtelschrift, die in Bronze gegossen auf dem Boden liegt und das arabische Wort für „Lies“ (Ikraa) wiedergibt – das erste Wort im Koran. Ein Hinweis auf Miss­interpretationen religiöser Texte, denn mich lassen die Isis-Geschichten und ihre Gewalt nicht los. Am Koran haben mich vor allem aber die kulturellen Aspekte immer interessiert.

Gibt es eine weitere Arbeit zu sehen?

Ja, „Mit einer Hand fällt es schwer zu klatschen“. Das ist der Bronzearm, der der Statue auf dem Märtyrerplatz in Beirut bereits seit Langem fehlt. Ich habe ihn als Einzelobjekt rekonstruiert. Das hat mit dem Platz zu tun, an dem die Türken 1916 Libanesen aufgehängt haben – ein Platz mit Symbolkraft für Demonstranten und ihre Proteste. Mit der Arbeit bin ich der Frage nach der Unterschiedlichkeit von Märtyrern auf den Grund gegangen. Denn was für den einen ein Märtyrer ist, kann für den anderen ein Terrorist sein.

Seit wann haben Sie sich künstlerisch mit Beirut auseinandergesetzt?

Immer schon. Mein Vater und Onkel waren meine ersten Lehrer. Ich war in Beirut an der Uni genauso wie in Berlin. Ich komme aus einer Künstlerfamilie mit acht Malern und bin mit Terpentingeruch und Bildern groß geworden. Und alle hatten diese Disziplin und Struktur, die man auch braucht, um Kunst zu machen. 2000 habe ich damit begonnen, mich künstlerisch dem Wiederaufbau der Stadt Beirut zu widmen. Gerade jetzt wollte ich diesen Themenblock abschließen, da passierte diese Explosion in Beirut.

Welche unmittelbaren Auswirkungen hatte das Unglück für Sie?

Mein Bruder wurde leicht verletzt. Mein Elternhaus ist durch die Detonation zertrümmert worden. Es ist eine verfluchte Stadt. Erst der Bürgerkrieg von 1975 bis 1989/90, dann der israelisch-libanesische Konflikt 1993, 1996 und 2006! Das war fast Alltag, auch die Autobomben. Und der Coronalockdown gerade hat mich wieder an diese Zeit erinnert, da wir damals das Haus auch nicht verlassen durften und immer in unserem Zimmer spielen mussten.

Wie wirkte sich das für die Kunstszene aus?

Die größte Kunstszene gab es in den 1960er Jahren, als Beirut als westliche Perle des Nahen Ostens galt – eine liberal offene Hafenstadt. Ab der Jahrtausendwende entwickelte sich die Szene mit heute etwa 25 Kunstgalerien, einem staatlichen Museum und mehreren Privatmuseen. Vor allem durch Sammler aus den Golfstaaten ist libanesische Kunst international salonfähig geworden. Das Sursock-Museum lag nur zwei Kilometer von der Bombe entfernt und wurde sehr in Mitleidenschaft gezogen. Die Galeristin von Tanit aus München, Naila Kettaneh, wurde schwer verletzt, und ein Mitarbeiter meiner Galerie Salah Barakat ist durch die Detonation ums Leben gekommen.

Welche Stadt – Beirut oder Berlin – betrachten Sie heute als Ihre Heimat?

Said Baalbaki mit dem rekonstruierten Arm des Denkmals auf dem Märtyrerplatz in Beirut Foto: Salah Sawli Berlin

Ich sehe Beirut von Berlin aus viel schärfer und viel schöner, als dort drin zu leben. Diese Stadt kommt nicht zur Ruhe. Denn die Libanesen nutzen nicht immer ihre Freiheit im positiven Sinne. Freiheit heißt nicht, dass du dich nicht an die Gesetze halten musst. Daher bin ich auch 2015 deutscher Staatsbürger geworden. Bei der Einbürgerung hat man mich dann darauf hingewiesen, wenn ich im Libanon negativ auffalle, bin ich gleich wieder Libanese. Aber im Libanon fühle ich mich nach wie vor als Libanese!

Was war Ihr letztes Projekt?

Gerade habe ich eine Ausstellung in Celle mit meinem Forschungsprojekt zu Jussuf Abbo präsentiert. Ein Palästinenser, der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in Berlin eine große Bildhauerkarriere hatte und als jüdischer Araber 1935 wegen der Nazis Berlin verlassen musste. Anhand dieses Projekts kann ich durch Geschichte meiner Fragestellung nachgehen.

Wie das?

In sechs Jahren habe ich 100 seiner Arbeiten gekauft und sein Leben erforscht. Und die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Er überlebte die spanische Grippe; ich hoffentlich Corona. Und ich hoffe, dass trotz aller rechten Tendenzen es sich mit dem Nationalsozialismus nicht wiederholt. Aber sein Werk ist auch ein Stück Heimat, da er aus der Nähe meines Heimatortes kam. Und in dieser Tradition verbindet uns eines – nämlich Kunst in Berlin zu machen. Das ist Heimat.

„In weiter Ferne so nah“, Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9. Di.–So. 11–18 Uhr, bis 8. Nov.