Rechtsextreme Polizisten-Chatgruppen: Außer Kontrolle

Wenn wir ernst nehmen, was uns beigebracht wurde, dann betreffen die Nazis in der Polizei uns alle. Das muss die Lehre nach NRW sein.

Polizist:innen in Uniform in stehen vor ihren Stühlen

Kommissaranwärter:innen der Polizei NRW bei ihrer Vereidigungsfeier 2020 Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Das offizielle Deutschland tut schockiert. Mal wieder. Am Mittwoch wurde bekannt, dass in Nordrhein-Westfalen fünf rechtsextreme Chatgruppen aufgedeckt wurden, an denen 29 Polizist:innen beteiligt gewesen sein sollen. Das Bundesinnenministerium bezeichnet die Berichte als „alarmierend“, NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) ist „fassungslos“, der Vorgang mache ihn „sprachlos“.

Das ist nicht gut: Denn wann, wenn nicht jetzt, müssen die Verantwortlichen endlich mal klare Worte wählen. Für Sprachlosigkeit ist es zu spät. Polizist:innen sympathisieren mit Reichsbürger:innen, wie bekannte Fälle aus Berlin und Bayern zeigen. Sie ziehen, wie in Hamburg oder Hessen, Daten von Antifaschist:innen von Polizeicomputern. Eben diese Anti­fa­schis­t:innen bekommen dann Drohbriefe, die unterschrieben sind mit NSU 2.0. Innerhalb der Behörden existieren rechtsextreme Netzwerke, wie 2018 in Frankfurt am Main aufgedeckt wurde. Menschen, wie Aristeidis L. oder Oury Jalloh sterben in Polizeigewahrsam, bis heute sind die Fälle nicht vollständig aufgeklärt.

Diese Liste könnte um ein Vielfaches erweitert werden. Doch sie kann auch deswegen nur unvollständig sein, weil klar ist, dass wir nur einen Bruchteil der rechtsextremen Strukturen innerhalb der Polizei kennen. Es ist nur die Spitze des Eisbergs, den wir sehen. Doch die Spitze ist schon so enorm, dass sich jede:r schämen sollte, der heute noch von Einzelfällen spricht.

Es hat noch nie gereicht

Nach dem Bekanntwerden der rechtsextremen Chatgruppen warnt nun BKA-Chef Holger Münch vor einem Vertrauensverlust in die Sicherheitsbehörden. Doch Sorgen sollte man sich eher um diejenigen machen, die ihr Vertrauen in die Polizei noch nicht verloren haben. Denn die fühlen sich von einer von rechts durchdrungenen Polizei scheinbar nicht betroffen. Sie sprechen von Einzelfällen, zeigen sich empört und fordern: Lasst uns den Betroffenen zuhören. Doch das reicht nicht mehr – und gereicht hat es eigentlich noch nie.

Klar ist, dass Menschen, die von Rassismus, Antisemitismus oder Antiziganismus, Homo-, Trans- oder Frauenfeindlichkeit betroffen sind, die Ersten sind, die rechtsextreme Polizeigewalt zu spüren bekommen. Doch sie erzählen seit Jahrzehnten von ihren Erfahrungen. Es verändert sich aber nicht. Doch wenn Polizist:innen Bilder von Hakenkreuzen und Reichsflaggen, von Geflüchteten in Gaskammern, von Polizist:innen, die auf einen Schwarzen Jungen zielen, teilen, Bilder, die der NRW-Verfassungsschutz als „Hardcore-Rechtsextremisten-Material“ klassifiziert – dann sind wir alle betroffen.

Wir – das sind die Nachfolgegenerationen der Nazis. Die Antifaschist:innen, also alle, die sich als Demokrat:innen verstehen. Unsere Verantwortung ist es – so haben es uns die Geschichtsbücher, Schulen und unsere Eltern beigebracht –, dass die Geschichte sich nicht wiederholt.

In NRW wurden nun die 29 verdächtigen Polizist:innen suspendiert, eine Sonderkommission wurde eingerichtet und Reul kündigte eine radikale Aufklärung „bis ins kleinste Detail“ an. Das sind gute erste Schritte, doch sie werden nicht ausreichen. Denn Strukturen, die Rassismus und andere gewaltvolle Diskriminierungsformen verhindern, fehlen im deutschen Sicherheitsapparat komplett.

Damit sich daran etwas ändert, darf die Polizei sich nicht mehr selbst kontrollieren. Dass diese Selbstkontrolle nicht ausreicht, zeigt sich auch darin, dass die rechtsextremen Chatgruppen nur zufällig entdeckt wurden. Stattdessen braucht es systematische Untersuchungen, es braucht Unabhängige, die in der Polizei ermitteln, ein Durchbrechen des Korpsgeists und der Cop Culture und dass Menschen, die die Polizei kritisieren, nicht niedergemacht und bedroht werden. Wir sind es, die dafür sorgen müssen, dass es nicht noch ein „wieder mal“ gibt, sondern dass „nie wieder“ die Maxime ist.

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