Alptraum ohne Ende

Die Guantánamo-Haft des Bremer Türken Murat Kurnaz geht ins vierte Jahr – mit wenig Aussicht auf baldige Freiheit. Dabei hat ein US-amerikanisches Zivilgericht die Haftgründe längst ausgehebelt

Im benachbarten Camp 5 sind 52 Häftlinge in den Hungerstreik getreten

Aus Bremen Eva Rhode

„Quälend lang“ könnte der weitere Weg durch die Instanzen werden, fürchten die Anwälte des Bremer Türken Murat Kurnaz. Ihn halten US-Miltärs seit fast vier Jahren unter Terrorverdacht auf dem US-amerikanischen Militärstützpunkt Guantánamo fest. „Bremer Taliban“ nannten ihn die Medien deshalb lange irreführend. Denn schon Anfang vergangenen Jahres hat ein ziviles US-Bundesgericht Murat Kurnaz vom Terrorvorwurf entlastet: Dafür gebe es keine stichhaltigen Beweise. Ebensowenig für seine Zugehörigkeit zu Al Qaida, befand die Washingtoner Bundesrichterin Joyce Green.

Kurnaz sitzt weiter. Trotz der allgemein verheerenden Lage und der schlechten Aussichten sei sein Gesundheitszustand stabil, gab gestern der Bremer Anwalt Bernhard Docke bekannt. Dessen amerikanischer Kollege Baher Azmy war am Sonntag von einem zweitägigen Besuch bei Kurnaz in Camp Echo zurückgekehrt. Dort muss sich der in Bremen geborene junge Mann mit dem türkischen Pass noch auf lange Haft gefasst machen. Denn die US-Regierung ist gegen das entlastende Urteil, wonach unter anderem die Militärprozesse auf Guantanamo gegen die US-Verfassung verstoßen, in Berufung gegangen. Zwar soll im September über die Berufungsklage entschieden werden – doch selbst, wenn das Urteil für Kurnaz erneut positiv ausfiele, könnte der weitere Weg durch die Instanzen den Bremer Schiffbauerlehrling noch lange die Freiheit kosten. Nun hofft er, dass ihn vielleicht ein interner Bewährungsausschuss des Militärlagers entlässt – als einen Gefangenen, der nicht über wichtige Information verfügt.

Im benachtbarten Camp 5 sind vergangene Woche unterdessen 52 Häftlinge in den Hungerstreik getreten – gegen die unwürdigen Haftbedingungen. „Murat Kurnaz beteiligt sich daran nicht, aber er teilt die Streikmotive“, sagt Anwalt Docke: „Unzureichende medizinische Versorgung, schlechtes Essen und miserable Haftbedingungen.“

Mehr wird die Öffentlichkeit vorerst nicht erfahren, von dem, was Murat Kurnaz und sein New Yorker Anwalt besprochen haben. Baher Azmy ist die einzige Zivilperson, die den Gefangenen bislang besuchen durfte. Kurnaz‘ jüngste Aussagen über die Verhöre durch deutsches Geheimdienstpersonal auf Guantánamo beispielsweise bleiben bis zu einer Freigabe durch das Pentagon als geheim eingestuft. So will es das militärische Procedere.

Schon nach der Freigabe von ähnlichen Protokollen nach einem ersten Anwaltsbesuch im vergangenen Oktober hatten die Anwälte die Frage nach einer möglicherweise rechtswidrigen Zusammenarbeit deutscher und US-amerikanischer Geheimdienste aufgeworfen. Ältere Unterlagen deutscher Ermittler waren offenbar in die Hände der US-Militärs gelangt – mit verheerender Wirkung: Sie kannten Einzelheiten aus der Ermittlungsakte der Bremer Staatsanwaltschaft – woraus das angebliche Reiseziel Afghanistan abgeleitet wurde. Während des Militärtribunals auf Guantánamo sei Kurnaz auch damit konfrontiert worden, einen Selbstmordattentäter zu kennen, berichteten die Anwälte. Der Mann lebt jedoch nach wie vor gesund in Bremen. Das haben auch die Bremer Staatsanwaltschaft und die Polizei bestätigt.

Und noch etwas brachte dieser sechs Monate unter Verschluss gehaltene Bericht im März endlich ans Licht: Er bestätigte die schlimmsten Befürchtungen über Kurnaz‘ Haftbedingungen. Er sei in Guantánamo gefoltert und erniedrigt worden, erzählte der junge Mann. Zuvor habe er an einem ihm unbekannten Ort den Tod eines Mitgefangenen nach Folter erlebt.