berliner szenen
: Ein Rausch aus Zucker und Farbe

Foodsharing ist eine Initiative gegen Lebensmittelverschwendung. Täglich holen Ehrenamtliche in Betrieben Essen ab, das nicht mehr verkauft wird, und verteilen es weiter. Seit ein paar Monaten mache ich das auch. Eine bizarre Tätigkeit. Oft rettet man Obst und Gemüse, das etwas unansehnlich ist. Oder Backwaren, die am nächsten Tag nicht mehr ganz frisch sind. Bei einigen Lebensmitteln ist das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht. Immer wieder aber steht man sprachlos vor dem, was da andernfalls im Müll landen würde.

Gestern war wieder so ein Tag. Mittags holte ich aus einem Bioladen Brokkoli, Kopfsalate, Sojajoghurts und jede Menge Tofu ab. Es gab sehr gesundes Mittagessen. Abends war ich zum ersten Mal in einem fancy Backwarenladen. Die Mengen dort pendeln zwischen „ausverkauft“ und „richtig viel“. Damit niemand umsonst hinfährt, fragt eine/r kurz vor Ladenschluss telefonisch die Menge ab. Ich saß beim Abendbrot, als mein Handy klingelte. „15 Bleche“, war die Info. Ich fuhr sofort los. Die Verkäuferin räumte gerade die bunten Stühle zusammen. Auf dem Bürgersteig vorm Laden schlief ein Obdachloser auf einer Matratze. Die Sonne ging unter, als die beiden anderen mit Kisten und Koffer eintrafen. Und dann ging alles ganz schnell. Unter dem dröhnenden Beat von 90er-Jahre-Pop packten wir in wahnwitziger Geschwindigkeit knapp 300 Gebäckstücke ein. Es war wie ein Rausch aus Zucker und Farbe, wie eine völlig überdrehte Party. Nach 15 Minuten war alles vorbei. Ich fuhr mit dem Rad nach Hause.

Mein Mann kochte Kaffee. Wir luden die Nachbarin dazu. Sie war begeistert und nahm noch ein paar Stücke mit nach Hause. Nachts träumte ich von Kuchen, der auf mich herunterfiel. 80 Teile habe ich am nächsten Tag zu einer Suppenküche gebracht. Heute rette ich wieder Gemüse. Gaby Coldewey