berliner szenen
: Der Waschbär im Wedding

Berlin goes wild. Zumindest animalisch gesehen. Dort wo Menschen coronabedingt Einschränkungen erfuhren, eroberten sich weltweit Ziegen, Seelöwen, Fische und Wildkatzen Terrain zurück. In Berlin begegnete man gewissen Wildtieren allerdings schon präcoronal.

In meiner Jugend besiedelte eine Fähe mit ihren Jungen unseren Schulhof. Mit seiner Nähe zum Kleistpark bot der Hof wohl den idealen Spielplatz für die Fuchsfamilie. Vor drei Jahren traf ich auf dem Heimweg sogar einen Waschbären im Wedding. Bis dahin kannte ich den Allesfresser nur aus lustigen Videos, in denen die Racker Mülltonnen ausräumen. Ich wusste nicht mal, dass sie in unserer Hemisphäre überhaupt heimisch sind. Dieses Exemplar wackelte vor mir den Gehsteig entlang und flüchtete etwas genervt über den Zaun eines Kindergartens.

Wie sehr sich unsere wilden Mitbürger*innen bereits an den Berliner Lifestyle akklimatisiert haben, durfte letzthin ein Badegast am Teufelssee erleben. Dem Nudisten klaute ein Wildschwein den Laptop. Gemeinsam mit ihrem Nachwuchs war die Sau auf einem Futterraubzug quer durch die Seebesucher.

Zu einem weiteren faunistischen Vergehen kam es heute direkt vor meinem Küchenfenster. Mein morgendliches Blumengießen wurde je durch einen dumpfen Knall unterbrochen: eine Taube, die mit ziemlicher Wucht gegen meine Scheibe prallte. Was erst wie ein banaler Flugunfall aussah, entpuppte sich als Verbrechen zwischen den Arten. Scheinbar hatte es einen Kampf gegeben, den die Taube nicht gewinnen konnte. Ihr Gegner landete direkt auf einem Ast vor mir, ein riesiger braun-weißer Vogel, der mich aus stechend gelben Augen anstarrte. Ein Habicht – wie die anschließende Google-Suche verriet. Was aus der Taube geworden ist, frage ich mich immer noch. Sophia Zessnik