die woche in berlin
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Im Streit um die Karstadt-Neubaupläne am Hermannplatz steckt der neue Bausenator in einer Zwickmühle. Maskenpflicht auf Demos: Die Wirkung bleibt abzuwarten. Drei Polizisten verteidigen die Demokratie.

Erbitterter Kampf um die Zuständigkeit

Anhörung zum Deal mit Signa im Berliner Abgeordnetenhaus

Von seiner Fundamentalopposition hat sich Florian Schmidt verabschiedet. Im Streit um die Karstadt-Pläne des Investors ­Signa hat der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus am Mittwoch ein Angebot unterbreitet: Er wolle, sagte Schmidt, ein ergebnisoffenes Masterplanverfahren mit einer breiten Bürgerbeteiligung. Der Bezirk sei dazu bereit.

Schmidt deutete auch an, wie ein solches Verfahren aussehen könnte. Zunächst müsse über die Grundlagen des Investitionsvorhabens diskutiert werden, dann über die Nutzungspläne und erst in einem dritten Schritt über die Gestaltung. Damit steht Schmidt freilich nach wie vor im Widerspruch zum Karstadt-Eigner. Der hatte zuerst das Bild vom Wiederaufbau des monumentalen Karstadt-Gebäudes aus den späten Zwanzigern in die Welt gesetzt. Erst in einem zweiten Schritt will Signa dann über die Nutzungen reden. Und das ist bislang ein eher unbekannter Mix. Ein bisschen Karstadt soll da Platz finden, ein paar Büros und seit neuesten auch einige Wohnungen, die die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo bauen soll.

Wie geht es nun weiter?

Entgegen manchen Behauptungen hat der Senat das Bebauungsplanverfahren noch nicht an sich gezogen. Erst will der neue Bausenator Sebastian Scheel (Linke) ins Gespräch mit den beiden betroffenen Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln kommen. Ersterer ist für die Baugenehmigung zuständig, weil das Karstadt-Grundstück in seinen Bezirksgrenzen liegt, zweiterer hat mit den meisten Auswirkungen, also Mietsteigerungen, Veränderung der Gewerbestruktur, Verkehr zu kämpfen.

Bei den Gesprächen wird es auch darum gehen, ob vor einer Klärung, ob nun Friedrichshain-Kreuzberg oder der Senat für die Bebauungsplanung zuständig sind, nicht ein Masterplanverfahren geschaltet wird, also eine städtebauliche Bewertung des Vorhabens inklusive Bürgerdialog. Für diesen Fall hat Schmidt aber schon wissen lassen, dass er dafür nicht zur Verfügung steht. Stattdessen müsse vorher geklärt werden, wer für den Bebauungsplan zuständig sei.

Damit steckt insbesondere der Bausenator nun in einer Zwickmühle. Große Beteiligungsverfahren wie auf dem RAW-Gelände dauern Jahre. Doch Signa will, so wurde es im Letter of Intent mit dem Senat (Baurecht für den Erhalt von vier Karstadt-Filialen) festgehalten, bis Ende der Legislaturperiode Klarheit.

Dass es Signa damit Ernst ist, hat Geschäftsführer Timo Herzberg bereits in der Anhörung angedeutet. Dort hat er dem Senat indirekt mit Schadensersatzforderungen gedroht. Zieht Scheel das Verfahren aber an sich, hat er ein Problem mit der eigenen Partei. Überraschend deutlich nämlich hat sich der Linke-Parteitag vor zwei Wochen gegen den Signa-Deal ausgesprochen.

In seiner Kritik an den Karstadt-Plänen argumentiert Friedrichshain-Kreuzberg immer wieder damit, dass der Hermannplatz keine überörtliche – also landesweite – Bedeutung mehr habe, weshalb ein Bauvorhaben, das den Platz auf eine Stufe mit dem Alexanderplatz stellt, problematisch sei. Politisch dagegen hat der Zwist das Potential, über die Bezirksgrenzen hinaus Rot-Rot-Grün vor den Wahlen vor eine Zerreißprobe zu stellen. Uwe Rada

Vermummung wird jetzt
zur Pflicht

Der Senat schreibt für größere Demonstrationen Masken vor

Wem nutzt ein Mund-Nasen-Schutz in Coronazeiten? Der Chefvirologe der Charité, Christian Drosten, hat sich am Dienstag nach langer Pause wieder in einem Podcast zu Wort gemeldet und ist dabei zu einem klaren „Ja, aber“ – oder besser: „Aber ja“ – gekommen: Es gebe zwar Schwächen der Alltagsmasken darin, die für die Übertragung des Coronavirus zu verhindern. Dennoch könnten sich Menschen mit Masken nicht so schnell infizieren wie ohne. Offen bleibt die Frage, wie zentral die Rolle von Aerosolen für die Verbreitung des Virus ist.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) beantwortet die Maskenfrage – in seinem Fall mit Blick auf Demonstrationen – mit einem „Ja, aber“. Der Senat verankerte am Dienstag unter anderem auf Geisels Initiative eine Pflicht, bei öffentlichen Versammlungen mit mehr als 100 TeilnehmerInnen einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Sollte dabei skandiert oder gesungen werden, gilt dies auch für kleinere Zusammenkünfte.

Geisel reagiert damit auf eine massive Polizeipanne bei dem Großauflauf von CoronaleugnerInnen und Neonazis am vergangenen Samstag, als es rund 400 ReichsbürgerInnen und Co. gelang, die Treppe vor dem Reichstag zu stürmen, vorbei an Absperrungen und der Polizei. Die Bilder von Rechten mit Reichsflaggen gingen um die Welt.

Für den Innensenator war das gleich eine doppelte Niederlage: Er hatte das Verbot der Demonstration massiv unterstützt, obwohl er das zwei Wochen zuvor im taz-Gespräch noch kategorisch ausgeschlossen hatte. Doch zwei Gerichte kassierten das Verbot. Der Aufmarsch verlief dann genauso, wie Geisel es erwartet hatte: Niemand hielt sich an die Hygieneauflagen, Neonazis und Gewalttäter prägten das Geschehen. Mit der Maskenpflicht könnte die Polizei solche Demonstrationen nun früher auflösen; sie müsste nicht erst langwierig an die Auflagen erinnern.

Nun kommt das „Aber“ ins Spiel: Es ist fraglich, ob die Polizei – hätte das Vermummungsgebot schon gegolten – massiv auf die anfangs friedliche Demonstration mit knapp 40.000 TeilnehmerInnen eingewirkt hätte und ob sie dafür mit den über den Tag verteilt insgesamt 3.000 eingesetzten PolizistInnen überhaupt in der Lage gewesen wäre. Andererseits hat die Polizei während der Coronapandemie viele friedliche linke Demonstrationen bedrängt, in denen wie selbstverständlich von der großen Mehrheit Masken getragen wurden.

Es zeigt sich also: Masken helfen. Aber sie sind eben nur ein Mittel, nicht die Lösung. Das gilt auch für den Innensenator und den Umgang mit rechtsoffenen Coronademonstrationen. Auch wenn die nächste am 3. Oktober geplante von Berlin wegverlegt wurde: Es wird weitere solcher Proteste geben. Mal sehen, ob sie verboten werden – und bleiben. Bert Schulz

Manchmal hängt alles am Mut Einzelner

Drei Polizisten schützen den Bundestag vor den Nazis

Es gibt in diesen Tagen und Wochen viele, die – zu Recht – viel über die Demokratie reden und darüber, dass sie geschützt werden müsse. Manchmal aber muss man es einfach auch tun. Das haben jetzt in einem entscheidenden Moment ausgerechnet drei Männer gemacht, die zu einer Berufsgruppe gehören, die sich mit Müll gleichsetzen, als generell gewaltorientiert und rechtslastig bezeichnen lassen musste.

Drei Polizisten haben sich am Samstag mit ihrem Körper vor eine über hundertköpfige Menge gestellt, die die Stufen zum Reichstagsgebäude hochstürmte, und den Eingang verteidigt, bis Verstärkung eintraf. Ohne diese drei hätten Rechtsextreme mit Reichsflaggen in das Symbol der parlamentarischen Demokratie eindringen können. Es könnte das Bild des Jahres werden.

Es hat in der Geschichte immer wieder Momente gegeben, wo nicht Strukturen oder geniale Strategien das große Ganze schützten, vor dem Kollaps oder einer Demütigung bewahrten, sondern der Mut und Einsatz Einzelner. Der Mann ohne Helm, wie er bekannt geworden ist, der Berliner Polizist Karsten Bonack, er erinnert auf den Videos, die im Internet anzuschauen sind, an den legendären Horatius Cocles der altrömischen Geschichte: Angreifende Etrusker hatten – wie am Samstag die Demonstranten die Polizeikräfte – das römische Heer umgangen und standen am Tiber vor der einzigen Brücke. Die verteidigte Cocles allein, bis seine – auch bei ihm – zwei Kollegen hinter ihm die Brücke zerstört und damit sichergestellt hatten, dass die Angreifer nicht schnell zur Stadt vordrangen.

Da muss sich ein jeder schon fragen: Hätte ich das auch gemacht? Hätte ich auch für die Demokratie – auch Rom war damals noch Republik – Kopf und Körper hingehalten? Am Tag nach der Großdemo schlug im Wedding in der Müllerstraße ein Mann während eines katholischen Gottesdienstes den Pfarrer nieder und konnte danach fliehen: Laut Zeugen sprang nur einer dem Geistlichen zur Seite, offenbar traute sich niemand sonst, den Täter aufzuhalten.

Nun ist nicht jeder so breitschultrig wie der Polizist Bonack und hat nicht über 30 Dienstjahre mit brenzligen Situationen hinter sich. Aber auch das war keine Garantie, dass er da heile wieder rauskommen würde, als er sich vor die Menge stellte – Grünen-Senatorin Ramona Pop etwa hatte Journalisten in den Tagen vor der Demo von „unglaublichen Gewaltandrohungen“ gegen den Innensenator berichtet.

Was dabei ganz entscheidend ist: Bonack hat das mit Worten, klarer Ansage und seinen Händen gemacht – geschützt nur durch eine Weste, ohne Schutzpanzer, Schild oder Schlagstock. Er hat das getan in einer Situation, in der in den USA Polizisten womöglich längst die Waffe gezückt und vielleicht auch abgedrückt hätten. Was einmal mehr zeigt, wie falsch es ist, das US-Polizeiwesen und seine Schwachstellen mit dem deutschen gleichzusetzen.

Man muss darum nicht gleich zum Fan der Polizei werden. Und, ja, es gibt dort Fälle illegaler Gewaltanwendung. Trotzdem ist festzustellen: Was Bonack und seine beiden Kollegen am Samstag vor dem Bundestag getan haben, war Dienst an der Demokratie. Man muss auch kein Fan der Linkspartei sein, um ihrem Fraktionschef Dietmar Bartsch recht zu geben. Der hat über den Mann ohne Helm gesagt: „Das ist eigentlich jemand, der ein Bundesverdienstkreuz verdient hat.“ Stefan Alberti

In einer solchen Situation hätten Polizisten in den USA womöglich längst die Waffe gezückt

Stefan Albertiüber umsichtige Polizisten bei der Demo vor dem Bundestag