Soll man den Sommer mit Heizpilzen verlängern?

ja,

sagt Uwe Rada

Vom Sommer in Berlin und Brandenburg werden in ein paar Jahren noch viele schwärmen. Okay, war etwas voll in den Biergärten und an den Seen, dafür waren weniger Touris da. Endlich mal wieder unter sich – ein ganz neues Wirgefühl. Aber wie werden wir in ein paar Jahren vom Herbst reden, der diesem Sommer folgte? Und wie vom Winter? Das hängt ganz vom Wetter ab. Folgen dem warmen Sommer ein milder Spätsommer und Frühherbst, ist alles paletti. Dann verlängert sich der Sommer, das heißt, das sommerliche Leben auf Straßen, Plätzen, Cafés und Biergärten automatisch selbst. Man kann noch mal richtig draußen sein, sich mit Freundinnen und Freunden an der frischen Luft treffen, ohne gleich an Aerosole denken zu müssen, das Wirgefühl erneuern. Was aber, wenn es im September anfängt kühl zu werden?

Berlins Dehoga-Chef Thomas Lengfelder hat für diesen Fall die Berliner Bezirke aufgefordert, über ihren Schatten zu springen und das Verbot von Heizpilzen auszusetzen. „Die Leute gehen einfach nicht in die Innenräume“, sagte er zur Begründung. Recht hat er.

Heizpilze sind Klimakiller. Dass sie 2009 in Berlin abgeschafft wurden, war richtig. Es tat aber auch niemandem weh. Wer den Sommer verlängern wollte, buchte halt schnell einen Flug nach Griechenland, Andalusien oder, wenn man noch im Dezember baden wollte, auf die Kanaren. Ob das in diesem Herbst möglich sein wird? Gerade erst ist Spanien als Risikoland erklärt worden. Gut möglich, dass der verlängerte Sommer im Süden baden geht.

Warum nicht also das eingesparte CO2 wieder ausgeben? Quasi als Corona-Rettungspaket an Berlins Gastwirte. 50 bis 60 Prozent von ihnen, sagt Dehoga-Chef Lengfelder, drohe die Insolvenz. Wenn sie das Geschäft im Schankgarten bis Oktober verlängern könnten, wäre das eine Entlastung. Und es wäre auch ein Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens. Denn Innenräume werden ab Herbst, da muss man kein Prophet sein, zu Corona-Hotspots werden.

Und by the way würde auch ein wenig Berliner Lebensgefühl über den Sommer gerettet. Dass Boris Palmer das ähnlich sieht, muss kein Gegenargument sein. Schließlich war der Tübinger Oberbürgermeister auch einer der Ersten, der die Heizpilze abgeschafft hat.

nein,

sagt Bert Schulz

Mitten im Hochsommer bei Temperaturen von bis zu 36 Grad in Berlin und dem dritten Dürrejahr in Folge über die Aufhebung des Verbots von gasverschleudernden Heizpilzen zu reden – braucht es mehr, um die Absurdität dieses Vorschlags aufzuzeigen? Noch dazu, wenn er von einem Bürgermeister eines Provinzstädtchens kommt, dessen Horizont nicht mehr über die Hügel der kühlen Schwäbischen Alb hinausreicht?

Offenbar schon. Okay.

Für all jene, die angesichts der Coronadramatik vergessen haben, worüber vergangenes Jahr so breit wie nie gesprochen wurde: Wir Menschen sind seit Jahrzehnten dabei, uns diesen Planeten unbewohnbar zu machen. Die massive Erwärmung der Erde in den vergangenen Jahren ist Fakt, die Folgen sind absehbar, die Politik immer noch viel zu zaghaft in ihrem Einsatz dagegen. Aber hey, okay, lasst uns erst mal noch ein Bierchen draußen vor der Kneipe trinken. Oder auch zwei.

Corona ist für viele eine Bedrohung. Für die Gesundheit. Für die von uns gewohnte Infrastruktur, insbesondere kultureller Art. Ja, für Kneipen, Restaurantsü etc. wird die Herbst- und Wintersaison hart. Weil viele Menschen Angst haben, sich dort anzustecken. Und ein paar Heizpilze könnten den Umsatzschwund wohl abmildern. Aber zu welchem Preis?

Heizpilze sind echte Umweltsäue und längst ein Symbol für das Desaster, das wir wissentlich mit dem Planeten anrichten: Wir verheizen ihn. Wir sorgen mit solchen Blechkisten auch für die Dürre, die besonders in Ostdeutschland über die letzten Jahre dramatisch geworden ist; die wieder zu beängstigenden Waldbränden führen könnte wie in den vergangenen Jahren.

Heizpilze wieder zuzulassen wäre auch ein Signal, dass die Klimakrise vorbei ist; es würde von AfD und LeugnerInnen des Klimawandels genutzt, um gegen strengere Auflagen für den Klimaschutz zu polemisieren. Das ist unverantwortlich. Denn die Auflagen, die wir brauchen, um die schon jetzt unabdingbaren Folgen des Klimawandels zu überstehen, werden hart sein müssen. Die Nebenwirkungen von Corona sind da ein ganz gutes Training: weniger fliegen, digitale Kommunikation statt großer Konferenzen und Kongresse, technischen Fortschritt nutzen, statt ihn aus Tradition und Bequemlichkeit zu ignorieren. Einen Heizpilz aufstellen ist genau das Gegenteil.

Restaurants, Kneipen, Hotels wird das Land und der Bund anders helfen müssen: mit Förderprogrammen und Steuernachlässen, mit einem anderen Gewerbemietrecht. Dennoch wird es nicht alle nach der Coronakrise noch geben. Aber wir müssen unser Verhalten verändern, sonst werden die Veränderungen unserer Infrastruktur noch viel härter und unkontrollierbarer ausfallen. Dazu gehört auch, eben nicht mehr im November ein Bierchen im Freien unter einem Boiler zu trinken. Eine Decke tut es auch.