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Doppelspitze mit Frauenpower?

Im Oktober wählt die Linkspartei eine neue Spitze. Nun gibt es zwei Anwärterinnen: die Hessin Janine Wissler und die Thüringerin Susanne Hennig-Wellsow. Wer sind sie?

Die Schnellläuferin

Susanne Hennig-Wellsow hält in Thüringen die Linke zusammen. Mit ihrer Kandidatur für den Linken-Vorsitz setzt sie viel aufs Spiel

Sie kann Chefin: Susanne Hennig-Wellsow Foto: Foto:Jens Jeske/imago

Von Anna Lehmann

Für die großen Entscheidungen in ihrem Leben nimmt sich Susanne Hennig-Wellsow Zeit. Im Jahr 2000 war das so. Damals hängte sie ihre Eisschnelllaufstiefel an den Nagel. Sechzehn Jahre Leistungssport, Kurzstrecke, 40 Stunden Training pro Woche: aus, vorbei. Ein Jahr habe sie damals hin und her überlegt, erzählt Hennig-Wellsow. Die Entscheidung sei ihr schwergefallen: „Eisschnelllauf, das war mein Leben.“

Am Freitag hat Hennig-Wellsow wieder eine fundamentale Entscheidung für sich getroffen: Sie will auf dem Parteitag der Linken im Oktober für das Amt der Parteichefin kandidieren. Sie habe echt Bock darauf, sagt sie auf einer Pressekonferenz nach der Sitzung des Landesvorstands. Sie wolle aus der etwas verschlafenen Partei eine Partei machen, die den Aufbruch will.

Auch für diese Entscheidung brauchte sie Zeit. „Ich fange an, mich in Thüringen ein wenig zu langweilen“, sagte Hennig-Wellsow beiläufig bei einem Treffen in einem Café in Erfurt. Das war im Spätsommer 2019, damals war die Linke mitten im Wahlkampf. Bodo Ramelow trat als Ministerpräsident mit Amtsbonus für die Linkspartei an, die sich anschickte, erstmals stärkste Kraft bei einer Landtagswahl zu werden. Es gelang. Und das war auch Hennig-Wellsows Verdienst.

In Erfurt, wo sie aufgewachsen ist und das Sportgymnasium besucht hat, trat sie 2004 erstmals für die damalige PDS als Kandidatin an. Als jüngste Abgeordnete zog sie in den Landtag ein. 2013 wurde sie Landesvorsitzende und im Jahr darauf auch Fraktionschefin der Linken. Solche Doppelämter sind ungewöhnlich in der Partei und einigen auch suspekt. „Die Susi ist in Thüringen schon ziemlich dolle Chefin“, sagt ein führender Linken-Politiker. Er meint es eher anerkennend.

Hennig-Wellsow könne gut mit Macht umgehen, sagt die ehemalige Thüringer Linken-Abgeordnete, Sabine Berninger. „Sie hat eine vermittelnde Art, kann zuhören und setzt sich mit Argumenten auseinander. Sie ist ehrlich und direkt. Manchmal vielleicht eine Spur zu direkt.“

Als sie Vorsitzende wurde, machte sich Hennig-Wellsow daran, den angejahrten Landesverband zu verjüngen, und förderte talentierte Nachwuchspolitiker:innen. Als einziger ostdeutscher Landesverband schrumpfte die Thüringer Linke nicht, sondern wuchs von Jahr zu Jahr. Das ist nicht allein dem Bonus des Ausnahmepolitikers Ramelow zu verdanken, sondern der Kombination Ramelow/Hennig-Wellsow.

Der cholerische Ex-Gewerkschaftler und die disziplinierte Ex-Leistungsportlerin sind ein ungleiches Team. Während Ramelow wankende CDU-Wähler:innen als Landesvater umwirbt, versammelt Hennig-Wellsow den Landesverband hinter dem eigenwilligen Spitzenpolitiker. Sie macht vor, dass beides möglich ist: regieren und dabei ein bisschen randalieren.

Während Ramelow in der Staatskanzlei residiert, kocht Hennig-Wellsow auch mal Kaffee für Antifa-Gruppen im Linken-Treffpunkt Redroxx in Erfurt. Am 1. Mai tritt Ramelow staatsmännisch im Anzug auf, Hennig-Wellsow hockt in Jeans auf der Straße, um eine AfD-Kundgebung zu blockieren. Die Staatsanwaltschaft hob deswegen zuletzt ihre Immunität auf, ermittelte wegen Nötigung. Inzwischen wurde das Verfahren eingestellt.

Jeden Morgen um kurz nach 7 Uhr telefonieren Ramelow, Hennig-Wellsow und ihr Stellvertreter Steffen Dittes und sprechen alle Angelegenheiten des Tages durch. Auch vor ihrer Entscheidung, für den Parteivorsitz zu kandidieren, hatte sich Hennig-Wellsow mit Ramelow beraten. Er hatte ihr abgeraten. Wegen seiner eigenen Erfahrungen auf bundespolitischem Parkett. Ramelow war 2005 Wahlkampfleiter und managte die Fusion zwischen WASG und PDS zur Linken, fasste aber in der Bundespartei nie richtig Fuß. Doch wichtiger: Ramelow braucht Hennig-Wellsow in Thüringen. Im Frühjahr 2021 will er sich erneut zum Ministerpräsidenten wählen lassen.

Der erste Versuch nach der Landtagswahl 2019 geriet im Februar 2020 zum Desaster. Die Linke war zwar stärkste Kraft, hatte aber mit SPD und Grünen keine Mehrheit mehr und war auf die Unterstützung der CDU angewiesen. Statt Ramelow wählten die CDU-Abgeordneten jedoch im dritten Wahlgang den FDP-Vorsitzenden Thomas Kemmerich, der mit den Stimmen der AfD dann gewann.

Es folgte eine Regierungskrise, in der Hennig-Wellsow ihre bundespolitischen Pläne erst mal auf Eis legte. Es waren aber auch jene Tage, die sie über die Landesgrenzen hinaus bekannt machten. Als Kemmerich zum Ministerpräsidenten vereidigt worden war, schmiss sie ihm mit einem knappen Nicken den Blumenstrauß vor die Füße. Die Frau mit dem Blumenstrauß saß danach in Talkshows bei Markus Lanz und Anne Will.

Im März wurde Ramelow doch noch zum Ministerpräsidenten gewählt – diesmal geduldet von der CDU. Die Duldung läuft Ende des Jahres ab. Danach ist in Thüringen wieder Wahlkampf. Und Hennig-Wellsow vielleicht schon in Berlin. Denn ganz begraben hatte sie ihre Pläne nie. Sie brauche mal eine andere politische Perspektive, deutete sie zuletzt an. Und laut Linken-Satzung soll kein Parteiamt länger als acht Jahre durch dasselbe Mitglied ausgeübt werden. Im nächsten Jahr wäre Hennig-Wellsow acht Jahre Thüringer Landesvorsitzende.

Ihre Kandidatur für den Parteivorsitz ist auch ein Risiko: für sie und für die Thüringer Linke. Wenn Hennig-Wellsow die Wahl auf dem Parteitag verlöre, würde sie wohl nicht achselzuckend zurückkehren in die Landespolitik. Gewinnt sie, hat die Thüringer Linkspartei wenige Monate vor der Landtagswahl wohl eine Nachfolgediskussion am Hals.

Als sich Hennig-Wellsow 2000 entschied, ihre Karriere als Profisportlerin zu beenden, lag das auch an den fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten. Die goldene Generation der Eisschnellläuferinnen – Claudia Pechstein, Anni Friesinger, Gunda Niemann-Stirnemann – mit denen sie trainierte, hätten alle wichtige Startpositionen besetzt, erzählt Hennig-Wellsow. „Meine Generation ist irgendwann an eine gläserne Decke gestoßen.“

Ihre Startposition für den Parteivorsitz ist vergleichsweise gut. Führende Vertreter:innen der ostdeutschen Landesverbände unterstützen sie. Janine Wissler, die den linken Flügel und die Landesverbände im Westen abholen kann, wäre eine passende Ergänzung. Jetzt muss Hennig-Wellsow nur noch gewinnen.

Die Frontfrau aus Hessen

Janine Wissler hat in Hessen die Linke in den Landtag geführt und dort verankert. Ihre Auftritte sind markant. Rot-Grün-Rot wäre mit ihr zu machen

Vom linken Flügel: Janine Wissler Foto: Angelika Warmuth/dpa

Aus Wiesbaden Christoph Schmidt-Lunau

„Gekommen um zu bleiben“, unter diesem Motto hatte die Linken-Landtagsfraktion mit Janine Wissler 2018 ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Jetzt geht ihre Chefin womöglich nach Berlin. Wissler hatte am Freitag als erste der möglichen Anwärter:innen für den Vorsitz der Linkspartei ihre Kandidatur verkündet.

Die 39-Jährige hat in Hessen unter Beweis gestellt, dass sie Erfolge erringen und ausbauen kann. 2008 waren sie und die Linke erstmals in den Landtag eingezogen. Die Politologin war damals die jüngste Abgeordnete. Sie hatte sich zuvor bei Attac, in der WASG und im Kampf gegen die Studiengebühren in Hessen profiliert. Von Anfang an boten ihr im Landtag die „hessischen Verhältnisse“ eine Bühne, auf der sie ihr rhetorisches Talent unter Beweis stellen konnte.

Die schwarz-gelbe Regierung unter Ministerpräsident Roland Koch hatte ihre Mehrheit verloren und blieb nur geschäftsführend im Amt. Die Opposition trotzte der Minderheitsregierung neben anderen Zugeständnissen schließlich die Abschaffung der Studiengebühren ab. Als die damalige SPD-Chefin Andrea Ypsilanti im Herbst 2008 den Machtwechsel wagen wollte, scheiterte sie nicht an den Linken, sondern an wortbrüchigen SozialdemokratInnen.

Bei den „Duldungsverhandlungen“ hatte Wissler Beharrlichkeit bewiesen. Die junge Partei, zu der sich unabhängige Linke, Mitglieder aus WASG, DKP und PDS zusammengerauft hatten, überstand die Zerreißprobe. Dass sie ihren Platz im Landesparlament seitdem bei drei weiteren Wahlen behaupten konnte, verdankt sie zu einem beachtlichen Teil ihrer Frontfrau, die seit 2009 als Fraktionschefin amtiert.

Im Landtag sind nicht nur Wisslers bissige Zwischenrufe gefürchtet, sie formuliert präg­nant und kommt schnell auf den Punkt. Im NSU-Untersuchungsausschuss, wo Wissler stellvertretendes Mitglied war, nervte sie die CDU mit ihren präzisen Fragen derart, dass sie ihr Fragerecht mit einem Geschäftsordnungstrick zu beschränken versuchte. Es blieb beim Versuch.

Auch dem neuen Untersuchungsausschuss, der das Behördenversagen vor dem Mord an Walter Lübcke aufklären soll, gehört sie an. Als „infam“ empfindet sie den Vorwurf aus dem Regierungslager, die Linken instrumentalisierten die rechte Gewalt. „Seit wir dem hessischen Landtag angehören, warnen wir vor den rechten Strukturen und Netzwerken, doch niemand hat uns Ernst genommen“, sagt sie. Wissler selbst ist Opfer, als Adressatin rechter Morddrohungen unter dem Label NSU2.0. Auch persönliche Daten von ihr wurden aus Polizeicomputern abgerufen. Die Landespolitik mache ihr gleichwohl nach wie vor Spaß, versicherte sie noch vor wenigen Wochen.

Doch sollte Wissler zur Parteichefin gewählt werden, wird sie nach der Parteilogik zur Bundestagswahl 2021 nach Berlin wechseln. Sie hatte 2008 und 2013 in Hessen über ein rot-rot-grünes Bündnis verhandelt, das jeweils rechnerisch möglich war. Rot-Rot-Grün im Bund wird an ihr nicht scheitern. Doch von einem Lagerwahlkampf rät sie ab: „Es kommt darauf an, mit einem guten, linken und ökologischen Programm ein gutes Ergebnis zu erzielen“, sagt sie. „Wir werden die Tür nicht zumachen, es kommt dann auf die Inhalte an.“

Wissler gilt zu Recht als unprätentiös. Eigentlich wurde ihre Geburt im hessischen Langen unter dem Familienname Wißler eingetragen. Doch schon die Passstelle des Ordnungsamtes scheiterte an dem „scharfen s“. Im Namensfeld war „Wißler“ dokumentiert, in der computerlesbaren Zeile dagegen „Wissler“. Sie entschied die Sache pragmatisch: „In Zeiten von Internet und E-Mail ist ein ß im Namen schwierig und ich nutze die Doppel-S-Schreibweise, damit es einheitlich mit Website und E-Mail ist“, twitterte sie.

Dass es in Hessen ohne sie bei der Landtagswahl 2023 knapp werden könnte, glaubt sie nicht. „Wir haben viele gute Leute in der Fraktion und im Landesverband und ich wäre doch auch nicht weg aus dem Landesverband“, sagt sie. Ihre künftige Präsenz auf Bundesebene könnte schließlich auch ihren hessischen GenossenInnen zu Gute kommen.