heute in hamburg
: „Wir wissen sehr wenig über die Opfer“

Foto: privat

Holger Artus

64, ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative „Kein Vergessen im Kontorhausviertel“.

Interview Regina Seibel

taz: Herr Artus, wie groß war das Leid der italienischen Militärinternierten im Kontorhausviertel?

Holger Artus: Es gab im Viertel drei Lager mit fast 1.500 Plätzen. Wir wissen aber leider viel zu wenig über das Leid. Wir wissen aus den Biografien der Toten, dass sie teilweise erschlagen wurden oder an Krankheiten starben. Das spricht für ein furchtbares Leid, wenn man sich vorstellt, dass Medizin nicht hilft. Über die Opfer wissen wir sehr wenig, auch wenn wir Recherchearbeit betreiben.

Welche Aufgaben mussten die Zwangsarbeiter*innen denn verrichten?

Laut der Stadt Hamburg waren im Jahr 1945 57 Prozent von ihnen für die Schutt- und Leichenbeseitigung tätig. Etwas weniger als die Hälfte wurde also in Firmen eingesetzt. Die Wehrmacht ordnete die italienischen Militärinternierten bestimmten Nummern und Arbeitskommandos zu. In diesen Nummern war angegeben, in welchen Firmen die Zwangsarbeiter*innen arbeiten mussten. Welche Firmen hinter welcher Nummer stehen, wissen wir bis heute noch nicht. Ich habe insgesamt 60 Unternehmen in Hamburg gefunden, die Italiener*innen beschäftigt haben.

Wie viele Zwangsarbeiter*innen gab es in Hamburg?

Seit Beginn des Krieges wurden in Hamburg 500.000 Zwangsarbeiter*innen eingesetzt. Darunter waren 12.000 italienische Militärinternierte. Ohne die wäre die Hamburger Kriegswirtschaft und die Infrastruktur völlig zusammengebrochen. In der Stadt hätte sicherlich nichts mehr funktioniert, hätte man diesen Ausbeutungsprozess nicht gehabt.

Warum erinnert in Hamburg nichts an die Zwangsarbeit der Militärinternierten?

Vereinzelt gibt es schon verschiedene Erinnerungsorte, zum Beispiel im Wasserwerk auf der Insel Kaltehofe. Dort steht ein Mahnmal zur Erinnerung. Ansonsten ist das aber eher selten, was damit zusammenhängt, dass es zwischen Deutschland und Italien einen Streit gibt, ob noch eine Entschädigung kollektiver Art an alle Opfer zu erfolgen hat.

Was will Ihre Initiative daran ändern?

Wir wollen es nicht bei dieser Kundgebung belassen, sondern es wird auch Folgeveranstaltungen geben, um zu klären, wie in Hamburg an die italienischen Militärinternierten als eine NS-Opfergruppe unter den Zwangsarbeiter*innen erinnert werden sollte. Wir sprechen dieses Thema an und werfen diese Frage wieder auf. Heute wird sogar der italienische Generalkonsul sprechen.

Kundgebung zur Erinnerung an drei Zwangsarbeitslager im Hamburger Kontorhausviertel: 17.30 Uhr vor der Burchardstraße 11