Verbandspräsident zum Lieferkettengesetz: „Eine praxisferne Vorstellung“

Firmenchef und VDMA-Präsident Martin Welcker lehnt die Gesetzesinitiative zu Lieferketten ab. Unfälle bei Zulieferern könnten Unternehmen nicht ausschließen.

Eine Frau hält das Bild ihrer verstorbenen Tochter in die Kamera

Das soll das Gesetz verhindern: Trauer um eine in der Textilfabrik Rana Plaza gestorbene Frau Foto: Zuma Press/imago

taz: Herr Welcker, Sie sind Präsident des Verbandes der Maschinenbauer (VDMA) und leiten die Schütte-Gruppe in Köln. Unternehmen wie Ihres sollen dafür sorgen, dass die Beschäftigten von Zulieferfirmen im Ausland faire Arbeitsbedingungen genießen. Das will die Bundesregierung im Lieferkettengesetz festlegen. Was spricht dagegen?

Carl Martin Welcker: Gegen Menschenrechte spricht nichts. Der Gesetzesvorschlag ist aber in der Ausarbeitung viel zu unpräzise und hilft wenig. Der Überwachungsaufwand und die im Gesetz angelegte Bürokratie entlang der gesamten Lieferkette, die uns Unternehmen auferlegt würde, stünden in keinem Verhältnis zum Fortschritt bei den weltweiten Menschenrechten.

Konkret geht es darum, dass Ihr Unternehmen beispielsweise kontrollieren soll, ob die Fabrikhalle eines Hauptzulieferers sicher gebaut ist, damit die Beschäftigten nicht bei einem etwaigen Zusammenbruch getötet werden.

Wir arbeiten in meinem Unternehmen mit rund 480.000 unterschiedlichen Artikeln. An manchen dieser Artikel sind bis zu 100 Zulieferer in mehreren Ländern beteiligt. Wenn das Gesetz wie geplant beschlossen würde, müssten wir viel zu viele Firmen überprüfen. Welche Mittel und Möglichkeiten soll ich als deutscher Mittelständler haben, vermeintliche Rechtsverletzungen bei all diesen Unterlieferanten in der Welt zu kontrollieren? Für Bauzulassungen, Abnahmen und Prüfungen sind beispielsweise die jeweiligen Landesbaubehörden zuständig.

2013 brach die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch zusammen. Über 1.000 Arbeiter:innen starben dabei.

Jahrgang 1960, leitet das Kölner Familienunternehmen Alfred Schütte GmbH in Köln, das unter anderem computergesteuerte Dreh- und Schleifmaschinen produziert. Seit 2016 amtiert Welcker als Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA.

Stabile Bauten zählen meines Wissens nicht zu den Menschenrechten. Aber es ist interessant, dass Sie meinen, auch dafür wären deutsche Unternehmen nach dem Lieferkettengesetz verantwortlich. Sollen wir auch die Bremsbeläge der Autos unserer Zulieferer kontrollieren? Niemand kann hundertprozentig garantieren, dass keine Unfälle in seiner Lieferkette passieren. Deshalb gibt es viele Fragen zu dem Gesetz. Die Politik muss erst einmal exakt klären, wofür die Unternehmen Verantwortung tragen sollen.

CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller und SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil wollen den Unternehmen nichts Unmögliches aufbürden. „Angemessenheit“ lautet das Stichwort. Wirklich sorgen müssten Sie sich nur um die Arbeitsbedingungen bei Ihren Hauptlieferanten. Sie brauchen nicht Ihre Lieferkette bis in den letzten Winkel Asiens auszuleuchten.

Das Gesetz

Es soll hiesige Unternehmen verpflichten, die grundlegenden sozialen und ökologischen Rechte der Beschäftigten und Anwohner:innen von Zulieferfabriken im Ausland zu schützen. Zum Beispiel: Arbeitssicherheit, ausreichende Löhne, faire Arbeitszeiten, Gewerkschaftsfreiheit, Schutz vor ethnischer und geschlechtlicher Diskriminierung, Recht auf Land, Nahrung und Wasser. Eigentlich sollten an diesem Mittwoch Eckpunkte für das Gesetz im Kabinett verabschiedet werden, doch wegen Widerstand von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wurde das erneut verschoben.

Die Befürworter

Mit über 200.000 Unterschriften im Gepäck zieht die Initiative Lieferkettengesetz am Mittwoch vor das Kanzlerinamt. Der Initiative gehören rund 100 Organisationen an. Sie plädieren dafür, die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte im Lieferkettengesetz umzusetzen.

Die Gegner

Der Wirtschaftsminister und diverse Verbände (BDI, BDA und weitere) wollen durchsetzen, dass dies nur für große Firmen über 5.000 Beschäftigte und deren Hauptzulieferer gilt. Außerdem sollen die Firmen bei Schäden nicht haften müssen. (koch)

Leider steht das eben so nicht in dem Gesetzentwurf. Und was bedeutet denn „Angemessenheit“? Die Unternehmen sollen „vorhersehbare“ und „vermeidbare“ Risiken ausschließen – sonst können sie verklagt werden und haften für eventuelle Schäden. Bei vielen Zulieferern in Dutzenden Staaten existieren jedoch mögliche Probleme, bei denen die Zuständigkeit Auslegungssache ist. Selbst in den USA: Der Bundesstaat South Carolina macht es Gewerkschaften sehr schwer. Nun zählt die Vereinigungsfreiheit bekanntlich zu den Menschenrechten, die die Bundesregierung schützen will. Wie sollen Unternehmen mit diesem Konflikt umgehen? Das Gesetz schafft also keine Rechtssicherheit, sondern das Gegenteil – Rechtsunsicherheit.

Wenn Regierungen freie Gewerkschaften behindern oder wie in China gar verbieten, sind nicht in erster Linie Manager wie Sie dafür verantwortlich. Würden Sie deshalb vor hiesigen Gerichten verklagt, kämen die Kläger:innen damit wohl nicht durch.

Wahrscheinlich nicht, aber Sie sagen selbst „in erster Linie“. In jedem Fall hätte ich den Aufwand mit Gutachten, Rechtskosten und eventuell einen Reputationsverlust wegen vermuteter Menschenrechtsverletzungen. Zudem lese ich in den Eckpunkten zum Gesetzentwurf, dass nicht die Rechtsnormen des Produktionslandes gelten sollen, sondern die deutschen. Deshalb muss die Regierung sehr genau definieren, was das für Konfliktfälle wie beispielsweise die Vereinigungsfreiheit, Sicherheit, Privatsphäre und vieles mehr bedeutet.

Ich möchte sicher sein, dass nicht wir für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden, die wir nicht beeinflussen können. Vorhersehbar, vermeidbar und angemessen sind keine klaren Rechtsbegriffe. Wir übernehmen gerne Verantwortung, wir möchten nur vorher zusammen mit der Politik klären, wofür.

Sie fürchten, dass mittelständische Unternehmen zu sehr belastet würden. Sie haben knapp 600 Beschäftigte und 120 Millionen Euro Jahresumsatz. Warum stellen Sie nicht zwei Leute ein, die sich speziell um die Menschenrechte in Ihrer Lieferkette kümmern?

Mit zwei Mitarbeitern kämen wir nicht aus. Wenn man mehrere tausend Lieferanten gerichtsfest auf die unterschiedlichen Kategorien der Menschenrechte hin überprüfen will, müsste die gesamte Belegschaft Tag und Nacht daran arbeiten. Eine praxisferne Vorstellung.

Sie kritisieren den deutschen Alleingang bei dem Gesetz und fordern eine internationale Regulierung. Ist das nicht der Versuch, alles auf die lange Bank zu schieben?

Internationale Vereinbarungen sind natürlich ein mühsamer Weg. Man sollte mindestens auf EU-Ebene beginnen. Dem versperrt sich die Wirtschaft nicht. Die Missachtung der Menschenrechte stellt tatsächlich ein globales Problem dar. Ich bezweifle zwar, dass wir große Missstände in den Zulieferketten der deutschen Maschinenbauer finden. Aber das soll uns nicht hindern, mögliche Verletzungen aufzudecken. In jedem Fall brauchen wir praxisnahe Lösungen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.