berliner szenen
: Schlager für die Verwandten

Vor der Pandemie habe ich öfter Musik aufgelegt, auch auf Privapartys. Wenn ich vor einer Party besprach, was so für Musik laufen soll, hörte ich manchmal: auf keinen Fall Schlager. Kam dann ein Partygast und fragte nach Helene Fischer, sagte ich: Frag die Gastgebenden, ob ich darf. In der Regel darf man dann doch Helene Fischer spielen, weil alle gut gelaunt sein wollen und nicht verbissen.

Einmal legte ich in Berlin mal wieder Musik auf einer Hochzeits­­party auf. Die Braut hatte mir vorher mit ernstem Gesichtsausdruck gesagt, dass sie keine Schlager hören will. Aber auf der Party kam sie irgendwann zu mir und hob das Schlagerverbot auf. Der Sinneswandel hatte einen Grund: „Für die Verwandten aus Brandenburg.“ Ich spielte dann „Anton aus Tirol“, und die Verwandten aus Brandenburg tanzten Polonaise.

Mir ist natürlich klar, dass es auch im Spreewald Leute geben kann, die Free Jazz hören und in der Uckermark Fans der atonalen Musik. In Kreuzberg wiederum gibt es vermutlich auch Leute, die Roland Kaiser super finden. Aber diese Kausalverbindung zwischen Menschen, die in Brandenburg wohnen, und der Liebe zu Schlagern fand ich irgendwie zum Schmunzeln. Das Klischee küsste die Wirklichkeit, sozusagen.

Einmal erlebte ich in einem brandenburgischen Städtchen ein Stadtfest auf dem Marktplatz. Dort gab ein Sänger „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ und solche Sachen zum Besten. Die Leute im Publikum klatschten und sangen und tanzten Polonaise. Und wollten Autogramme vom Sänger haben, der eine Dragqueen war.

Da haben sich mal wieder wie so oft Klischee und Wirklichkeit geküsst oder vielleicht auch ein bisschen neckisch gekniffen, keine Ahnung. Die Stimmung jedenfalls war kein bisschen verbissen.

Giuseppe Pitronaci