Berliner Geflüchtete in Arbeit: Bei den toten Tieren

Das Restaurant, in dem er tätig war, hat das Virus nicht überlebt, jetzt arbeitet Kiflom Melake mit Desinfektionsspray im Naturkundemuseum.

Kiflom Melake vor Vitrine mit eingeweckten Tieren im Berliner Naturkundemuseum

Kiflom Melake im Berliner Naturkundemuseum Foto: Doro Zinn

Am Anfang waren die Saurier. Riesig standen sie unter der Glaskuppel des Naturkundemuseums vor dem gerade einmal 1,67 Meter kleinen, schüchternen Mann. Dazu hörte Kiflom Melake, Flüchtling aus Eritrea, das leise Urzeitrauschen aus den Lautsprechern, das man eben nur wahrnehmen kann, wenn gerade wenige Besucher im Museum sind. Da ahnte er, dass von seinem neuen Arbeitsplatz ein Zauber ausgehen würde.

Es war Mitte Mai und sein erster Arbeitstag im neuen Job. Der heute 25-Jährige war Anfang 2015 nach einer fast zweijährigen Flucht nach Deutschland gekommen, hatte hier Deutsch gelernt, verschiedene Praktika absolviert und schließlich zwei Jahre lang als Küchenhilfe in einem italienischen Restaurant gearbeitet.

Das Restaurant hatte Corona aber nicht überlebt und Melake musste sich mitten in der Coronakrise auf Arbeitssuche begeben. Die Firma Gegenbauer, die auch das Naturkundemuseum reinigt, suchte Reinigungskräfte. Melake schickte eine Bewerbung.

Schon einen Tag später rief ihn der Personalsachbearbeiter an. Niedrigschwellig ging er im Telefonat einen Schritt zu auf den Bewerber, der nur fünf Jahre zur Schule gegangen war. Melake freute sich, dass er vieles am Telefon erklären konnte, denn das Erstellen schriftlicher Bewerbungsunterlagen ist etwas, was er nicht ohne Hilfe kann. Seine Arbeitserlaubnis musste der Mann, der keinen eigenen Computer hat, nicht einscannen. Er konnte sie in das Personalbüro bringen. Und dass er da eine halbe Stunde zu spät kam, weil er den Weg nicht gleich gefunden hatte, war auch kein Problem. Dieser entgegenkommende Umgang mit Bewerbern führte dazu, dass Melake schon am folgenden Tag pünktlich in der blauen Gegenbauer-Latzhose im Naturkundemuseum stand.

Flucht: Rund 55.000 Flüchtlinge kamen 2015 nach Berlin und dieser Tage ist es damit auch fünf Jahre her, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Sommer-Pressekonferenz sagte: „Wir schaffen das.“ In ihrer diesjährigen Sommerpressekonferenz verteidigte Merkel das Nein von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu Länderaufnahmeprogrammen für Flüchtlinge von den griechischen Inseln.

Seine Aufgabe ist es, die Exponate zu desinfizieren: Schaukästen, an die kleine Besucher ihre Nasen drücken, um Löwen oder Zebras zu sehen, Lupen, unter denen sich die Schmetterlinge vergrößern, oder Knöpfe, die man drückt, um Audiodateien zu hören. Überall dort können sich Coronaviren verfangen. Die vielen Kinder, die das Haus besuchen, halten sich nicht an die Empfehlung des Museums, nichts anzufassen. „Daher haben wir beschlossen“, sagt Gesine Steiner vom Naturkundemuseum, „die Oberflächen regelmäßig zu desinfizieren, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Besucherinnen und Besucher zu schützen und Corona wirksam einzudämmen.“

Jede Stunde dreht Kiflom Melake seine Runde mit Desinfektionsspray und Lappen durch das riesige Haus. Bevor er hier im Mai das erste Mal stand, war er nie in einem Museum gewesen. Das Wort „Museum“ gehörte nicht einmal zu seinem Wortschatz. Und „Naturkundemuseum“ war für ihn nur ein schrecklich langes Wort, das er sich auf einen Zettel schreiben musste, um an der gleichnamigen U-Bahn-Station nach dem Weg zu fragen.

Aber seit er hier arbeitet, liebt er seinen Arbeitsplatz. Als Hütejunge in Eritrea hat er mit Schafen und Ziegen gelebt, die er in der Großstadt Berlin vermisst hat und hier zumindest ausgestopft sehen kann. Flusspferde, Kuhantilopen und Mufflons, die auch im Museum stehen, sind ihm auf seiner Flucht durch Afrika begegnet, erzählt er, während er mit dem Lappen zielgerichtet über die Fingerabdrücke an den Glasvitrinen wischt. Und wenn er die Schlangen im Museum sieht, ist er froh, dass sie nicht lebendig sind, sagt er. Die inzwischen vertraute Umgebung der ausgestopften Tiere verleiht dem schüchternen Mann ein wenig Selbstbewusstsein.

Desinfizieren ist ein typischer Coronajob. Und die Firma Gegenbauer, ein Dienstleister, der in Berlin neben Reinigungskräften auch Hausmeister und Securitymitarbeiter stellt, ist froh, dass es solche Aufträge gibt.

Denn auch Gegenbauer sind in der Coronakrise Jobs weggebrochen. Wenn an Flughäfen weniger geflogen wird, muss auch weniger gereinigt werden. Messegebäude und große Veranstaltungssäle sind bis heute meist verwaist, dort werden kaum Gebäudedienstleistungen gefragt. Insgesamt, so Personaldirektor Claus Kohls, sei der Personalbestand der Firma etwa gleich groß wie vor der Krise, weil die Auftragsrückgänge durch zusätzliche coronabedingte Jobs ausgeglichen werden.

Freundlicher Umgang

Besonders im Reinigungsgewerbe hat es Gegenbauer öfter mit Mitarbeitern zu tun, die sich an regelmäßiges Arbeiten, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit erst gewöhnen müssen. „Damit meine ich nicht in erster Linie Geflüchtete“, sagt Claus Kohls. „Auch unter einheimischen Mitarbeitern haben wir öfter welche aus einem schwierigen sozialen Umfeld, wo Arbeit und Erfolg in der Familie nicht selbstverständlich sind.“ Ein freundlicher, kollegialer Umgang sei hier das A und O. Um die Führungskräfte zu sensibilisieren, mit ihnen umzugehen, gäbe es das Projekt „Seitenwechsel“, wo sie solche Lebensverhältnisse kennenlernen sollen. ­Personaldirektor Kohls jobbte dazu einige Zeit in einem Heim für wohnungslose Männer mit Alkoholproblemen. Presse­sprecher Gunther Thiele half in einer Justizvollzugsanstalt aus.

Bei den Mitarbeitern mit Fluchterfahrung, die ab 2015 in großer Zahl von Gegenbauer eingestellt wurden, stellten sich vor allem mangelnde Deutschkenntnisse als Problem heraus. Das Unternehmen wollte Deutschkurse anbieten, doch wegen der sehr unterschiedlichen Arbeitszeiten der Mitarbeiter war das nicht praktikabel.

So entstand die Idee einer Sprach-App, mit der alle individuell Deutsch lernen können. Sie wird von 200 Mitarbeitern genutzt. Für Kiflom Melake ist das schwieriger als für Mitarbeiter mit arabischer Muttersprache, denn in seiner Muttersprache Tigrinya werden noch keine Erklärungen angeboten.

Aber immerhin kann er bei der Arbeit die deutschen Namen von Tieren lernen. Denn die stehen an den Schautafeln. Schwer fällt es Kiflom Melake, seinen Eltern in Eritrea zu erklären, wo er jetzt arbeitet. „In einem großen Haus mit toten Tieren und Steinen mache ich sauber“, das klingt doch recht unspektakulär und wird dem Museum nicht ganz gerecht.

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