Lukaschenko bleibt bei seinem Kurs

Ein Vermittlungsangebot der litauischen Regierung lehnt der belarussische Präsident ab. Die Proteste gegen die Polizeigewalt gehen weiter

Ehemalige Polizisten verbrennen ihre Uniform und sprechen von einer Schande für ihr Land

Von Bernhard Clasen, Kiew

Auch am fünften Tag nach der Schließung der Wahllokale am Sonntag halten die Proteste in weißrussischen Städten gegen die Wahlfälschungen, die Verhaftungen und die Gewalt der Sicherheitskräfte an. Am Donnerstag bildeten Frauen in größtenteils weißer Kleidung und mit Blumen in den Händen Menschenketten in der Hauptstadt Minsk. 200 Ärzte protestierten in weißen Arztkitteln und Transparenten mit der Aufschrift „Ärzte ­gegen Gewalt“ gegen die Verhaftung ihres Kollegen Andrei Wituschko. Dieser war am Montag, als er sich auf die Suche nach seinem Sohn gemacht hatte, zusammen mit seiner Frau verhaftet worden. Sofort nach Beendigung der Aktion wurden der Arzt Bogdan Schilnikowski und die Ärztin Olga Zygankowa mit ihrem Mann festgenommen.

Die Proteste richten sich vor allem gegen Präsident Alexander Lukaschenko. Wie schon oft bei international nicht als frei anerkannten Wahlen hat er sich auch diesmal mit rund 80 Prozent der Stimmen zum Sieger erklären lassen. Viele glauben, dass Lukaschenko-Gegnerin Swetlana Tichanowskaja die Wahl am Sonntag gewonnen hat. Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin hält sich derzeit in Litauen auf. Die Regierung des Landes hat ihr eine Wohnung und Personenschutz zukommen lassen.

Am Mittwoch hatte Litauen angeboten, in dem Konflikt zu vermitteln. Präsident Gitanas Nauseda hat einen auch von Polen und Lettland unterstützten Plan für einen internationalen Vermittlungsprozess vorgelegt, teilte die Präsidialkanzlei des baltischen EU-Landes am Mittwochabend mit. In einem Telefonat mit Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rates, erklärte Nauseda, sein Land fühle sich zu diesem Schritt aufgrund der historischen Nähe zu dem Nachbarland und als Gastgeber von Tichanowska verpflichtet. Lukaschenko kündigte allerdings an, bei seiner harten Linie zu bleiben. Er lehnt diesen angedachten Dialog strikt ab.

Das harte Vorgehen Lukaschenkos stößt auf zunehmende Kritik bei den Bürgern: Auf einem Telegram-Kanal sind ehemalige Angehörige der Sonderpolizei zu sehen, die ihre Uniform in einen Müllcontainer werfen. In dem Video sagt ein Beamter: „Ich habe meinem Volk einen Eid geschworen. Wenn ich mir ansehe, was in Minsk passiert, kann ich nicht mehr darauf stolz sein, dass ich in solchen Einheiten gedient habe. Ich will diese Uniform nicht mehr tragen und ich will sie auch nicht mehr in meinem Haus haben.“

Fünf bekannte Fernsehjournalisten haben ebenfalls am Donnerstag ihren Dienst quittiert. In dieser Situation könne er seinen Zuschauern nicht mehr reinen Gewissens einen guten Morgen wünschen, begründete Andrej Makajenok vom Frühstücksfernsehen seine Entscheidung.

Auch seien zahlreiche Belegschaften inzwischen in einen Ausstand getreten, berichtet die Menschenrechtsorganisation „Charta 97“. Gegenüber der taz berichtet Liolik Uchkin, Aktivist der weißrussischen Grünen, von einem für Belarus einmaligen Präzedenzfall. So ist in der Stadt Schodino Bürgermeister Dmitri Sablozki in einen Dialog mit Arbeitern getreten. Am Donnerstagmittag standen auf einmal im Automobilwerk Belaz die Räder still, berichtet Uchkin. Die Belegschaft protestierte so gegen die Verhaftung einiger Mitarbeiter. Sie forderten freie Wahlen und einen Abzug der Sonderpolizei aus der Stadt. Und Bürgermeister Sablozki sprach mit den Arbeitern. „Wenn dieses Beispiel Vorbildcharakter für die Arbeiter anderer Unternehmen hat, könnte sich die Lage schon am Freitag ändern“, so Uchkin.

Bislang ist die Stimmung aber weiter geprägt von Angst und Gewalterfahrung. Zwar hat die Polizei in der Nacht zum Donnerstag die Gewalt ­gegen friedliche Demonstranten etwas zurückgefahren. Trotzdem schlugen viele Uniformierte weiter auf wehrlose Menschen ein. Es gab erneut Hunderte Festnahmen, deren Gesamtzahl auf rund 7.000 stieg. Die Radio­ingenieurin Alexandra Kondratjewa berichtet der taz von der Polizeigewalt in Minsk: „Hier im Zentrum sieht man nach 18 Uhr auf den Straßen nur Polizeiwagen, Gefangenentransporter und Krankenwagen.“ Am Sonntag habe sie noch den Demonstranten applaudiert, berichtet Kondratjewa. Seit sie dort die Gewalt erlebt habe, traut sie sich nicht mehr aus dem Haus. Drei ihrer Verwandten seien bereits festgenommen.

Im Internet kursierte ein Video mit Aufnahmen aus einem Bus mit Festgenommenen. In diesem hört man ein häufiges „Hände über den Kopf, auf den Boden!“. Die anschließenden Geräusche von Schlägen lassen erahnen, wie ausgelassen die Sicherheitskräfte über die Demonstranten herfallen. 250 Menschen befinden sich nach Angaben des Gesundheits­ministeriums in stationärer Behandlung, in der Großstadt Gomel nahe der russischen und der ukrainischen Grenze ist ein Demonstrant getötet worden.

Am heutigen Freitag wollen die Außenminister der Europäischen Union bei einem außerplanmäßigen Treffen über die Lage in Weißrussland beraten.