Pfarrer wird rehabilitiert: Späte Reue

Der schwule Pfarrer Friedrich Klein wurde während der NS-Zeit verfolgt. Nun hat die erste Landeskirche ihre Mitschuld anerkannt.

Gottesdienst für verfolgten Pfarrer Klein in der Immanuelkirche in Prenzlauer Berg Foto: Stefan Hunglinger

Lothar Dönitz ist aufgeregt. Über dem Mundschutz in Regenbogenfarben verraten feuchte Augen, wie viel dem 77-Jährigen dieser Abend bedeutet. „Es ist ein besonderer Tag“, sagt der schwule Aktivist am Dienstag im Altarraum der evangelischen Immanuelkirche in Prenzlauer Berg, in der sich etwa 100 Gäste versammelt haben.

Zusammen mit anderen aus dem „Gesprächskreis Homosexualität“ ist Dönitz gekommen um dabei zu sein, wenn seine Kirche erstmals ihre Mitschuld anerkennt an der Verfolgung eines schwulen Pfarrers im Nationalsozialismus – und ein Versprechen abgibt, auch weitere Fälle aufzuklären. Seit 1982 trifft sich der Ostberliner „Gesprächskreis Homosexualität“ in der benachbarten Advent-Zachäus-Gemeinde. Seit 2018 die Entlassung des Pfarrers Friedrich Klein aufgrund des „Homosexuellenparagrafen“ 175 durch einen Zufallsfund in den Kirchenakten bekannt wurde, setzt sich die Gruppe für die Aufarbeitung ein.

Nach über 75 Jahren ist es so weit. „Der Entzug der Ordinationsrechte von Pfarrer Friedrich Klein am 20. Januar 1943 durch das Konsistorium wird als Unrecht anerkannt und für nichtig erklärt“, verkündet Christian Stäblein, Bischof der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), feierlich während des Gottesdienstes.

Wenn auch wenig über ihn bekannt ist – nicht einmal ein Foto ist überliefert – lässt sich am Leben Friedrich Kleins viel lernen über die evangelische Kirche in der NS-Zeit. Klein, 1905 im Saargebiet geboren, wird nach seinem Theologiestudium 1933 Mitglied der NSDAP – und der rassistischen und antisemitischen Gruppe „Deutsche Christen“ (DC). Die DC bringt ihn auch nach Prenzlauer Berg. Denn die dortige, stramm braune Immanuelgemeinde sucht einen deutschnationalen Nachfolger für ihren 1935 verstorbenen, unbequem widerständigen Pfarrer Walter Häfele. Doch in Berlin entfremdet sich Friedrich Klein von den Nazi-Christen. 1937 kommt Johannes Schwartzkopf (1889–1968) als Pfarrer an die Immanuelkirche. Der gehört der oppositionellen Bekennenden Kirche an und setzt sich für in der NS-Zeit Verfolgte ein. Friedrich Klein, so berichtet der heutige Pfarrer Mark Pockrandt im Gottesdienst, habe Schwartzkopf dabei unterstützt.

An der Front gestorben

Auch diese Abtrünnigkeit mag zu Kleins Verfolgung als Homosexuellen geführt haben. Im Juni 1941 wird der Pfarrer Kriegsdienst eingezogen, arbeitet in einer Abhörstation. Im Dezember dann wird er wegen „widernatürlicher Unzucht“ mit dem 19-jährigen Unteroffizier Karl-Heinz Scheuermann verhaftet und 1942 schließlich zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Kirche folgt dem Nazi-Urteil und lässt Klein fallen. Im Juli 1944 wird die Gefängnisstrafe zur Bewährung im Fronteinsatz ausgesetzt. Klein ist vermutlich schon wenige Tage nach seinem Einsatz an vorderster Front im Raum Leningrad ums Leben gekommen.

Auch über den NS hinaus habe die Kirche bei der Verfolgung und Diskriminierung Homosexueller mitgemacht, erklärt Bischof Stäblein am Dienstag reuig. Kleins kirchliche Rehabilitierung erfolgt 18 Jahre nachdem der Bundestag 2002 alle 175er-Urteile aufgehoben hatte. In den letzten Jahrzehnten habe es jedoch eine Kehrtwende bei den Berliner Protestant*innen gegeben, so der Bischof. „Wir sind eine Institution, die ihre Schuld anerkennt und sich in neuer Weise homosexuellen Menschen zuwenden möchte.“

Weitere Fälle von kirchlichen Entlassungen und Nicht-Einstellungen, von denen aber im Gebiet der EKBO noch keine weiteren bekannt seien, sollen wissenschaftlich aufgearbeitet werden, berichtet die landeskirchliche Beauftragte für Erinnerungskultur, Marion Gardei, am Rande des Gottesdienstes. Im Sommer 2021 soll eine grundsätzliche theologische Erklärung zu queerem Leben folgen.

Im Kern geht es um Antifaschismus

Für die Pfarrerin Silke Radosh-Hinder ist der begonnene Aufarbeitungsprozess ein notwendiges Signal weit über Berlin hinaus, denn die Gewalt gegen queere Menschen nehme wieder zu. „Es ist ein Zeichen an die Landeskirchen, in denen die Situation queerer Menschen schlechter aussieht.“ Am Rande des Gottesdienstes setzt sie antifaschistisch gesinnt hinzu: „Nie wieder!“

Auch Lothar Dönitz geht es im Kern um Antifaschismus: „Ich bin sehr berührt, dass der Bischof in seiner Predigt beides aufgegriffen hat. Den Weltfriedenstag, der am 1. September begangen wird, und den Paragrafen 175, der am 1. September 1935 von den Nazis verschärft wurde“, erklärt er beim Verlassen der Kirche. „Das gehört zusammen.“

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