Bürgerprojekte für mehr Nachhaltigkeit: Kreativer Freiraum

Das CityLab will die Berliner Verwaltung mit digitalen Bürgerinitiativen für eine lebenswertere Stadt vernetzen. Wie ist die Bilanz nach einem Jahr?

Temporäre Spielstraße Prenzlauer Bergl

Konkret auf die Straße gebracht hat das CityLab zum Beispiel temporäre Spielstraßen Foto: picture alliance/Jörg Carstensen/dpa

BERLIN taz | Wir wissen, dass wir ein dickes Brett bohren“, sagt Benjamin Seibel, der Leiter des CityLab, das in den Räumen des ehemaligen Flughafens Tempelhof logiert. Insgesamt 16 Projekte haben Kulturwissenschaftler Seibel und seine 12 Mitarbeiter, die meisten in Teilzeit, im zurückliegenden Jahr angeschoben. Vielleicht liegt es am Standort, wo zwar nie wieder Flugzeuge abheben werden, dafür nun aber Ideen zum Höhenflug starten können.

Das CityLab ist im Grunde der Clash zweier Kulturen: Die Beamtenwelt mit Ärmelschonern, so das Klischee, trifft auf die digitale Stadtgesellschaft. Bürgerprojekte finden hier direkten Zugang zu Berliner Behörden und beide suchen gemeinsam nach modernen Lösungen für gesamtstädtische wie Kiez-Probleme.

Schon die Titel der Projekte machen die unterschiedlichen Herkünfte deutlich: „Gieß den Kiez“, eine Stadtkarte im Internet für die Bewässerung von Straßenbäumen, oder die Radwegeplanung von „FixMyBerlin“ sind Aktionen, die aus dem Engagement digitaler Bürgerinitiativen entstanden sind. Dem „Innovationskompass für die öffentliche Verwaltung“ oder der „Prozessanalyse Radinfrastruktur“ (PARI) haftet noch der Bürokraten-Jargon an. Die Wissenschaftler als die dritte große Fraktion im CityLab steuern „Algorithmische Stadtvisionen“ oder die „Berlin Urban Tech-Datenbank“ bei.

„Wir wussten von Anfang an, dass wir in Berlin eine Riesenkompetenz und ein wahnsinniges Engagement von vielen Leuten heben, die sich mit den Fragen Digitalisierung, Stadtentwicklung, Nachhaltigkeit und Mobilität auskennen“, sagt Seibel mit ehrlicher Emphase. „Und denen wollten wir einen Ort geben, an dem sie sich treffen können.“ Knapp 200 Meetings und Workshops sind so in den letzten 12 Monaten zustande gekommen; seit der Corona-Pandemie vielfach im Cyberspace, wohin auch das Sommerfest im Juni verlegt wurde. Die informativen Fachvorträge können auch nachträglich noch auf der Webseite des CityLab angeschaut werden.

So wird im Projekt „Open Traffic Count“ an neuen Methoden der automatischen Verkehrszählung – bisher ein klassischer Studentenjob – mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) geabeitet. Autos, Fahrräder und Fußgänger im Straßenverkehr in Echtzeit zählen, mit geringen Kosten und unter Einhaltung strenger Datenschutzvorgaben, so lautet das Projektziel.

Künstliche Intelligenz nutzen

Im CityLab trifft die Beamtenwelt auf die digitale Stadtgesellschaft

In einer Summer School konnte das CityLab gemeinsam mit Studierenden der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin den ersten Prototyp einer KI-basierten Echtzeit-Kamera erfolgreich testen. „Aktuell suchen wir Teststandorte, um das System im Echtbetrieb unter verschiedenen Wetter- und Lichtverhältnissen auszuprobieren“, wird aus der Gruppe berichtet.

Die webbasierte Plattform „UrbanCare“ soll die Lebensqualität in den Stadtvierteln durch eine fußgängerfreundliche Infrastruktur verbessern. Die Bürger können dort Hindernisse für Fußgänger melden. Es können auch Vorschläge an Industrie und Verwaltung gemacht werden, wie „klimafreundliche und sozial integrative Lösungen“ bei Bauprojekten im Straßenraum aussehen können.

Zwar ist das Berliner CityLab Teil einer internationalen Bewegung, die – ausgehend vom dänischen Pionier „MindLab“ – in vielen Größstädten eine neue digitale Kommunalpolitik ausprobiert. Aber in Berlin wäre das Vorhaben nicht ohne die Mutter aller Labs, der Technologiestiftung Berlin (TSB), zustande gekommen. Durch Bohren des politischen Bretts wurde ein Etatposten im Berliner Landeshaushalt erreicht, der dem CityLab eine Finanzierung von 750.000 Euro bis Ende 2021 sichert. Zur Eröffnung im Sommer 2019 erteilte denn auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) den höchsten stadtpolitischen Segen.

Auch TSB-Vorstand Nicolas Zimmer hat als „spiritus rector“ erheblichen Anteil am Takeoff des Labors für e-Government: Seit seiner Zeit als CDU-Staatssekretär in der Berliner Wirtschaftsverwaltung setzt sich Zimmer für eine „Open Data“-Politik des Landes und die innovative Nutzung des Behördenwissens ein.

Schneller, besser, effizienter

Und, klappt es? „Wir haben ein sehr offenes Konzept: Jeder kann zu uns kommen, mit einer Idee etwa für einen Workshop oder einen Prototypen“, sagt Seibel. „Wir waren selbst überrascht, wie gut das angenommen wird.“ Rund 30 Prozent der Teilnehmer kommen aus der Berliner Verwaltung, berichtet CityLab-Chef Seibel. „Es gibt dort ein grundsätzliches Interessen an Methoden: Wie können wir flexibler, effizienter, schneller werden“, hat er festgestellt.

Ein großes Thema ist die Verkehrswende, speziell der Radverkehr, der in Berlin stark zugenommen hat. Wie können Verkehrsflüsse auf der Straße so gelenkt werden, dass keine Unfälle vorkommen? Wo fehlen Rad-Bügel, um sein Stahlross anzuschließen? „Wir wollen erreichen, dass die Zielgruppen so früh wie möglich einbezogen werden“, erklärt Seibel. Das können Radfahrer, aber auch Wohngeld-Empfänger sein. So wird an dem Problem gearbeitet, warum so viele Wohngeld-Anträge falsch oder unvollständig ausgefüllt werden.

Die Digitalisierung ist dabei nicht das Endziel, sondern nur Mittel zum Zweck. Aktuell wird die Idee geprüft, beim Online-Antrag einen Chatbot einzusetzen, der dem Menschen die Fragen stellt und die Antworten selbst ins Formular einträgt. „Wir suchen nach solchen digitalen Modellen, die sich weiter entwickeln lassen“, sagt Seibel. „Berlin ist mit diesem Ansatz relativ weit vorne“, so seine Einschätzung.

Heiko Rintelen, Gründer des Berliner Verkehrsdienstleister FixMyCity GmbH, teilt diese Sicht. „Im Bereich Open Data ist Berlin recht gut aufgestellt“, meint Rintelen. Seine Softwarefirma nutzt die Daten der Verkehrsbehörde und entwickelt „digitale Werkzeuge für die Verkehrswende“. Ein Produkt ist der „Happy-Bike-Index“, der im Verkehrs-Navigator anzeigt, wo in Berlin „schon entspannt und sicher Rad gefahren werden kann (grün) bzw. wo es noch gefährlich ist (rot)“. Ziel ist es, so Rintelen, „eine datenbasierte Grundlage für einen konstruktiven Dialog zwischen Verwaltung und Bürger:innen zu schaffen“.

Die Kooperationslage ist bei den einzelnen Bezirken unterschiedlich, räumt er ein. Aber die Berliner Erfahrungen sind schon ausreichend, um die digitale Bürgerbeteiligung von FixMyCity in andere Städte, etwa nach Aachen, zu übertragen.

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