Zivilklage gegen Löschung auf Facebook: Umstrittene Meinungsfreiheit

In Hildesheim verklagt ein Nutzer Facebook, weil er sich zu Unrecht gesperrt sieht. Er hatte ein Video gepostet, in dem es um Polizeigewalt ging.

Ein Smartphone-Bildschirm mit den Apps verschiedener sozialer Netzwerke

Klagen von Facebook-Nutzern beschäftigen einige Gerichte Foto: Yui Mok/PA Wire/dpa

HILDESHEIM taz | Der freundliche junge Mann misstraut der Presse. Das lässt er vor dem Gerichtssaal im Amtsgericht Hildesheim durchblicken. Und irgendwie ist dieses Misstrauen auch einer der Gründe, warum Sebastian S. (Name geändert) an diesem Dienstag in einem Zivilprozess sitzt und Facebook verklagt.

Er hatte in dem sozialen Netzwerk ein Video über einen Polizeieinsatz bei einer Demonstration der Gelbwesten in Frankreich gepostet. Das Video, sagt er, sei ihm von Bekannten zugespielt worden. Seiner Meinung nach zeigt es massive Polizeigewalt. Über die sei in Deutschland nicht berichtet worden. Er gucke viel Nachrichten nach der Arbeit, sagt er. So etwas falle ihm öfter auf.

„Ich mache doch nur von meinem Recht auf freie Meinungsausübung Gebrauch“, sagt er. Bis heute nutzt er Facebook als Nachrichtenquelle und Diskussionsplattform. Vom Gericht möchte er nun bestätigt bekommen, dass die Löschung falsch und die Sperrung unbegründet war.

Verfahren wie diese gibt es bundesweit zu Hunderten – was zum einen an der unklaren Rechtslage, aber auch an der widersprüchlichen Löschpolitik Facebooks liegt.

Ursprünglich hatte der Konzern die Haltung verfochten für die Beiträge seiner Nutzer möglichst wenig Verantwortung übernehmen zu wollen – und dabei gern die Meinungsfreiheit als Deckmäntelchen vor sich her getragen.

Diese Haltung ist aufgrund des juristischen, politischen und ökonomischen Drucks, der auf dem Konzern lastet, schon länger hinfällig. Nach all den Debatten um Fake-News, Wahlbeeinflussung und Boykottandrohungen von Werbekunden löscht Facebook großzügiger – lässt sich dabei aber ungern in die Karten gucken.

So auch in diesem Verfahren: Facebook beruft sich dabei vor allem auf die Passage der Gemeinschaftsrichtlinien, die Gewaltdarstellungen untersagt. Die Löschung sei deshalb legitim.

Richter Wolfhard Klöhn erkannte in dem Video allerdings noch einen anderen Rechtsverstoß, der eine Löschung rechtfertigt. In einer Sequenz, die von der 45. bis zur 49. Sekunde dauere, seien mehrere Personen in Großaufnahmen eindeutig erkennbar. Das verletze deren Recht am eigenen Bild. Durch das Heranzoomen könne man auch nicht mehr damit argumentieren, dass es sich hier um die Dokumentation einer öffentliche Versammlung handle.

Das, protestiert Michael F. Ochsenfeld, der Rechtsanwalt des Klägers, sei doch wohl aber der Tatsache geschuldet, dass dieses Gesetz den modernen technischen Bedingungen nicht Rechnung trage. Immerhin könne man ja heute jederzeit auch nachträglich Bildausschnitte vergrößern.

Eigentlich, erklärt Ochsenfeld später, habe es sich das Gericht damit ja vor allem erspart, die Grundsatzfrage diskutieren zu müssen: „Dass da nämlich plötzlich private, angelernte Kräfte sitzen, die einfach mal so entscheiden, was man sagen darf und was nicht.“

Unter Juristen ist allerdings umstritten, inwieweit das Grundrecht auf Meinungsfreiheit hier überhaupt greift: Immerhin ist Facebook kein Staat, gegenüber dem man Bürgerrechte geltend machen kann, sondern ein Unternehmen für das die Vertragsfreiheit, die Privatautonomie und das Hausrecht gelten.

In anderen Urteilen hingegen wird argumentiert, Facebooks Position auf dem Marktplatz der Meinungsbildung sei mittlerweile so mächtig, dass es mittelbar auch die Meinungsfreiheit garantieren müsste.

In Hildesheim wird diese Frage jedenfalls nicht entschieden. Am 1. September will der Richter sein Urteil verkünden. Vermutlich wird er die Klage abweisen.

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