Coronablues zur Wildschweinkeule

Live-Auftrittsmöglichkeit für Künstler und Trost für pandemiegeplagte Wochenmarktbesucher: In Osnabrück stiften die Evangelischen Stiftungen eine Bühne

Der Blues-Mann schiebt etliche Dezibel durch die Boxen, da muss Carina Höger von der Lachsräucherei Henke zu Kundengesprächen „jetzt schon ziemlich die Stimme heben“

Von Harff-Peter Schönherr

Einen idyllischeren Ort für einen Wochenmarkt gibt es nicht: mittelalterliche Kirche, prachtvoller Baumbestand, Katzenkopfpflaster, plätschernder Skulpturenbrunnen, pittoreske Hausfassaden wie aus einem Historienfilm. Wer zu Füßen der Osnabrücker Katharinenkirche Lavendelhonig und Wildschweinkeule kauft, Lachsbällchen und Kürbisbrot, Waldheidelbeeren und Gorgonzola, hat es schön. Man ist mitten in der Stadt, aber der Verkehr ist kaum zu hören. Es gibt Espresso und Gebäck. Ein Ort für Fahrradfahrer und Freunde von Bioware. Strohhüte werden spazierengetragen, Weidenkörbe, dezente Parfüms.

Und dann ist da noch der Adelshof Poggenburg, 500 Jahre alt. Vor dem sitzt am vergangenen Donnerstag Horst Bergmeyer hinter seinem E-Piano in der Sonne und spielt Blues: Jimmy Reed, Ray Charles, Muddy Waters. Ein Mäuerchen trennt ihn von den Marktbesuchern. Von denen bleiben viele stehen, entspannt und lächelnd, setzen sich, lehnen sich an Laternenpfähle, einige tanzen ein bisschen. Selbst als Bergmeyer „There’s a killer on the road“, singt, „his brain is squirmin’like a toad“, bleibt das so. Niemand weiß, dass Bergmeyer bei „Riders on the Storm“ von den Doors an Covid-19 denkt – und an Pandemie-Opfer, die er kennt.

Covid-19 ist auch der Grund dafür, dass der Pianist und Sänger, Musikdozent an Universität und Hochschule Osnabrück, hier vor Marktbesuchern auftritt. Bergmeyer ist Teil einer Initiative der Evangelischen Stiftungen Osnabrück (ESO), die ihre Geschäftsstelle in der Poggenburg hat: „Wir wollen ein Zeichen setzen in dieser trostlosen Zeit, auch als Hilfe in der Not“, sagt Johannes Andrews, ihr Geschäftsführer. „Das ist schließlich ein zentraler Teil unseres Selbstverständnisses.

In den vergangenen Monaten haben Künstler ja kaum Live-Auftritte gehabt, und viele fallen durchs Raster, wenn es um staatliche Beihilfen geht.“ Die ESO stellen den Ort und den Strom, zahlen eine Gage. „Angefangen haben wir letzte Woche mit Puppentheater und Folk.“ Einmal die Woche geben die ESO der Kunst so eine Bühne. Bis Anfang September steht das Programm, quer durch alle Genres. Jeder Künstler hat eine Stunde.

Horst Bergmeyer ist cool, witzig, virtuos. Ein guter Performer. Das findet auch Christian Pradel, selbst Osnabrücker Musiker und mit den Blossom Brothers in Sachen Americana und Country unterwegs. „Der Hunger nach Live-Kultur ist wirklich groß bei den Leuten“, sagt er mit Blick auf die Umstehenden. „Wir haben selbst vor kurzem Straßenmusik gespielt. Und noch nie zuvor war unser Hut danach so voll!“

Auch Carina Höger, Lachsräucherei Henke, mit ihrem Marktstand ganz nah dran am Geschehen, lobt das neue Kulturprogramm sehr – und Bergmeyer. „Richtig tolle Musik! Echt schön!“ Gut, der Blues-Mann schiebt etliche Dezibel durch die Boxen, da muss sie zu Kundengesprächen „jetzt schon ziemlich die Stimme heben“. Aber das Marktflair steigt.

Schon früher hat es hier donnerstags Musik gegeben, in der Katharinenkirche. Aber diese 30-minütige „Musik zur Marktzeit“ ist derzeit nicht erlaubt: „Innenräume dürfen ja nicht bespielt werden“, sagt die Kirchenaufsicht. Die ESO-Nothilfe ist also keine Konkurrenz. Bergmeyer, sonst musikalisch auch im Ausland unterwegs, ist überall zu hören. Auch bei einem Stand, der den Marktbesucher schriftlich mahnt: „Kauf in Ruhe ein, dann geh wieder heim!“ Nein, heimgehen tun Bergmeyers Zuhörer nicht. Aber sie halten Abstand. Und sie tragen Maske.

Kurz nach 12 packt Horst Bergmeyer seine Sachen zusammen. Gut, es war nicht ganz dasselbe wie auf Tour mit Albie Donnellys R&B-Band Supercharge, mit der er zuweilen auf der Bühne steht. Aber zufrieden ist er trotzdem. „Okay, der Platz war nicht schwarz von Leuten“, lacht er. „Aber ich hatte das Gefühl, die meisten waren ganz angetan.“

Diesen Donnerstag ist Andy Jones dran, auch er aus Osnabrück. Ein Mann, der in seinen folkig-rockigen YouTube-Videos schon mal einen antiken Ford Mustang die Hauptrolle spielen lässt.

Bühne auf dem Wochenmarkt: bislang bis Anfang September, Do, 8-13 Uhr, Osnabrück, Wochenmarkt am Ledenhof