berlin viral
: Krieg den Hütten!

Corona kennt natürlich auch ökonomische Gewinner. So können die Landmakler kaum noch die übergroße Nachfrage nach Objekten in Brandenburg bedienen. Kalte Häuschen gehen über den Tisch wie warme Semmeln, jedes geräumigere Spechtloch findet seinen urbanen Abnehmer, der hier noch gestern angeblich nicht tot überm Zaun hängen wollte.

Die Gemengelage ist ein bisschen wie im Krieg: In der Stadt erstickten die Menschen in den Luftschutzkellern, während von den Höhen drum herum die Landbewohner mit besinnlicher Schadenfreude auf das lodernde Flammenmeer blickten. Nur statt Pangermanismus ist jetzt Pandemie die Ursache. Die Berliner wollen jedenfalls raus, an die frische Luft, in Sicherheit. Wenn die nächste Welle kommt, können sie wenigstens im Wald spazieren gehen, anstatt traurig vom Balkon zu glotzen. Sofern sie einen haben.

Und die zweite Welle kommt bestimmt. In- und Outdoorschwachmaten arbeiten emsig wie Bienchen des Todes daran. Allerdings gibt es keine Garantie dafür, das Heim im Grünen auch wirklich nutzen zu dürfen. Weder für die stolzen Neubesitzer via CountryScout, noch für uns, die wir seit zehn Jahren über ein Safe House in der Mark verfügen.

Denn wir sind dort in der Krise gar nicht allzu gut gelitten. Statt zusammenzurücken ist eher Abstand das Gebot der Stunde. Schon im März lasen wir Gräuelgeschichten besonders aus McPommes, auch wenn man den latenten Lug der verdächtig nebensatzlastigen Westzeitung stets mit Vorsicht genießen muss. Dort wurden anmaßende Wessis, die glaubten, sie könnten aus 25 Jahren Zweitwohnsitz und Teilnahme am öffentlichen Leben irgendeinen wie auch immer gearteten Anspruch ableiten, konsequent in ihre Heimatcluster „rückgeführt“ wie der Transport in den Tod im Politsprech heißt.

Eben noch waren sie auf Augenhöhe der Jürgen* und der Rolf*, doch von einem Tag auf den anderen sind sie nun der Unbefugte und der Bürgermeister. Und so sah sich der Jürgen, die Ärmchen greinend um Rolfs Beine geklammert, vom Bürgermeister strammen Schritts an die Landesgrenze geschleift und dort im Schmutze liegengelassen. Und zwar mitsamt der Glasperlen, mit denen sich der Fremde einst in die bis dahin intakte Dorfgemeinschaft eingeschleimt hatte. Wieder andere Seuchenvögel mussten innerhalb einer Stunde die Koffer packen, während Ordnungsamtsmitarbeiter daneben standen und zusahen.

So wie damals wird es auch bald wieder sein. Nur, dass jetzt jedes Dorf autonom darüber entscheidet, wer bleiben darf, wer gehen muss und wer erst gar nicht kommen kann. Es wird trotzdem Zeit, dass wir unsere schlichte Bretterbude auf Dauer, und das heißt auch für den Winter, einrichten. Vielleicht können wir uns ja dort verstecken. Wir tun einfach so, als wären wir gar nicht da. Das klappt bestimmt. Die Nachbarn tun schließlich schon zehn Jahre so, als wären wir nicht da.

Winterfest? Ach was, wir müssten das Ding ja überhaupt erst sommerfest machen. Die Holzwürmer kauen nämlich gerade die ganze Hütte auf. Bis auf die eine Stelle, an der die Ameisen zugange sind. Aus dem fein gemahlenen Holzstaub – offenbar liefern ihnen die Holzwürmer zu – haben sie sich im dunkelsten Winkel der Kammer wie Termiten voll die krassen Burgen gebaut.

Deutschland im Covid-44: Während wir nur auf die Mäuse an der Ostfront geachtet haben, errichten im Westen die Ameisen unbemerkt einen Brückenkopf nach dem anderen. Und über unseren Köpfen droht unablässig der Holzwurm. Der Krieg scheint verloren. Wir brauchen keinen Rolf. Wir gehen freiwillig. Uli Hannemann