Corona-Hilfe für Kulturbranche: Irgendwas mit Zirkus

Staatsministerin Grütters will die Kultur retten – sogar Zirkusse bekommen etwas ab. Verteilen soll die Millionen aber ein branchenfremder Verein.

Alexander Lacey trainiert auf dem Gelände der Circus Krone Farm Tiger in ihrem Gehege

Die deutsche Zirkusbranche ist verwundert über das Vorgehen der Regierung Foto: Sven Hoppe/dpa

MÜNCHEN taz | Monika Grütters ist um große Worte nicht verlegen. Sie will nicht weniger als „unsere einzigartige Kulturlandschaft retten“. Der Beitrag, den die Bundesregierung leiste, suche international seinesgleichen, schwärmt die Kulturstaatsministerin im Kanzleramt. „Mit Stolz sage ich: Das ist ziemlich genau die Hälfte unseres Jahreshaushalts.“ Wow!

Worauf sich die CDU-Politikerin genau bezieht, das ist eine Milliarde Euro, die die Bundesregierung lockergemacht hat, um die Coronafolgen in der Kulturbranche abzufedern. „Neustart Kultur“ heißt das Programm und sieht mehrere Maßnahmen vor. So sollen 250 Millionen aus dem Topf für „pandemiebedingte Investitionen“ ausgeschüttet werden.

Sprich: Wenn Kultureinrichtungen vor einer Wiedereröffnung spezielle Ausgaben haben, um Hygienekonzepte und Abstandsregeln umzusetzen, können sie hierfür Gelder beantragen. 450 Millionen sollen an kleinere und mittlere Kulturstätten spezieller Branchen gehen, um ihnen die Beschäftigung von Mitarbeitern für neue Projekte zu ermöglichen. Auch der Ausbau digitaler Angebot soll unterstützt werden. Dazu kommen eigene Programme etwa für den privaten Rundfunk oder die Frankfurter Buchmesse.

In der Kulturbranche, also bei den beabsichtigten Nutznießern des Programms, sind jedoch nicht alle begeistert. Konzertveranstalter Marek Lieberberg bezeichnete den „Neustart Kultur“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als bloße Worthülse. Andere bemängeln, dass die Maßnahmen den besonders stark betroffenen Soloselbstständigen der Branche nicht nutzen würden.

Kopfschütteln in der Zirkusbranche

Besonderes Kopfschütteln haben Grütters’ Leute in der Zirkusbranche ausgelöst. Da man dort gewohnt ist, dass der Zirkus in Deutschland, anders als in den meisten anderen europäischen Ländern, ohnehin nicht als Kultur anerkannt ist und auf staatliche Zuwendungen verzichten muss, war man zwar froh, dass der Branche nach einem Einspruch der European Circus Association (ECA) überhaupt 5 Millionen Euro zugestanden wurden. Dass mit der Vergabe dieser Gelder allerdings die Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik ausgesucht wurde, wurde mit großem Befremden aufgenommen.

„Wir haben uns sehr gewundert, dass dieser Verein den Zuschlag bekommen hat“, sagt ECA-Geschäftsführer Helmut Grosscurth. „Das ist, als würde man den Fahrlehrerverband Gelder für die Automobilbranche vergeben lassen. Die haben ja auch was mit Autos zu tun.“

In der Tat ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik ein Verein der Kinder- und Jugendhilfe, dessen Ziel es ist, „bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche durch kulturelle Bildung zu erreichen, um so einen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit und Integration zu leisten“.

Ein sehr unterstützenswertes Anliegen, nur mit Zirkusunternehmen hatte der Verein bislang noch nichts zu tun. Unter Zirkusleuten herrscht Ratlosigkeit. Hinter vorgehaltener Hand mutmaßt man, dass die Verantwortlichen in Sachen Zirkus völlig unbedarft seien und man auf den Verein bei einer Recherche im Telefonbuch gestoßen sei. Irgendwas mit Zirkus eben.

„Erfahrung in der Mittelvergabe“

„Diese Verwunderung können wir auch gut nachvollziehen“, sagt Regina Pfeiffer, Bildungsreferentin des Vereins. Offenbar war man bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik selbst überrascht, den Auftrag der Staatsministerin erhalten zu haben. „Aber wir sind ein e. V. und gemeinnützig und haben Erfahrung in der Mittelvergabe.“ Das, vermutet Pfeiffer, sei wohl der Grund gewesen, warum man auf sie zugekommen sei.

Und natürlich lehnt man ein solches Ansinnen auch nicht ab. Pfeiffer hofft auf bis zu 8 Prozent der vergebenen Hilfen, die am Ende als Aufwandsentschädigung bei ihrem Verein bleiben, der dafür aber auch zwei Vollzeitkräfte einstellen und eine Onlineplattform für die Anträge einrichten muss.

Viel schlauer wird man auch nach einer Anfrage bei der Pressestelle der Staatsministerin nicht. Sprechen will keiner ihrer Sprecher, lediglich schriftlich dürfen Fragen eingereicht werden. Die Antworten sind allgemein und ausweichend.

So werden als Kriterien für die Auftragserteilung zwar „sparten-, branchen- und themenspezifischer Sachverstand“, „entsprechendes Eigeninteresse an der Durchführung des Förderprogramms“, „strukturelle Eignung“, „personelle Kapazität“ und die „allgemeine Bereitschaft der betreffenden Organisationen“ genannt. Für die Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik habe man sich jedoch entschieden, weil sie über „ausreichende Erfahrungen in der Anwendung des Haushaltsrechts“ verfüge.

Branche wird eingebunden

Immerhin: Die Zirkuspädagogen wie auch die ECA versuchen nun gemeinsam, das Beste aus der Sache zu machen. „Wir binden die Zirkusunternehmen in den kompletten Prozess mit ein“, verspricht Pfeiffer. „Und die sollen auch bei der Beratung der Antragsteller mitwirken können. Diese Woche haben wir unsere erste Zoom-Sitzung.“ Es müsse auch keiner befürchten, dass jetzt nur zirkuspädagogische Einrichtungen an die Fördergelder kämen.

Ab dem 31. August können Zirkusse wie auch Zirkusschulen einen Antrag stellen. 5.000 bis 100.000 Euro können beantragt werden. Es gilt das Windhundprinzip. Allerdings stehen für Zirkusse nur Mittel aus dem Topf der „pandemiebedingten Investitionen“ zur Verfügung. Ein Desinfektionsmittelspender hier, ein Dixieklo dort – die Kosten dafür können erstattet werden.

Aus Sicht von ECA-Geschäftsführer Grosscurth ist das jedoch lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. „Was wir wirklich brauchen, ist eine Starthilfe.“ Die Zirkusse hätten gewaltige Kosten für Produktion und Promotion gehabt, bevor die Saison beginnen sollte. Die gleichen Investitionskosten fielen nun bei einem Neustart erneut an. „Aber in dem größten Teil des Kuchens, bei den 450 Millionen Euro, die das Programm unter anderem als Nothilfe für Kultureinrichtungen und Kulturschaffende vorsieht, steht von Zirkus kein Wort.“

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