Ärztemangel bleibt

Bremen will durch mehr Weiterbildung die Zahl der Ärzt*innen steigern, die Abtreibungen anbieten. Doch darüber entscheidet die Ärztekammer – und die sieht das anders

Viele Gynäkolog*innen verheimlichen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche machen, aus Angst vor Fundamentalisten Foto: Arne Dedert/dpa

Von Eiken Bruhn

Die Ärztekammer Bremen will Schwangerschaftsabbrüche nicht verpflichtend in den Weiterbildungskatalog zur Gynäkolog*in aufnehmen. Das sagte jetzt die Ärztekammer-Präsidentin Heidrun Gitter der taz. „Das können wir nicht machen, weil die Teilnahme an Abtreibungen rechtlich und berufsrechtlich freiwillig sein muss.“

Es entspreche ihrer Auffassung nach zwar den Grundsätzen ärztlichen Handelns, Frauen auch in dieser Notlage zu helfen. Es dürfe aber niemand etwa in der Weiterbildung zur Fachärzt*in gegen den eigenen Willen dazu verpflichtet werden: „Ich respektiere es, wenn jemand sagt, er oder sie möchte das nicht machen.“ Diese Kollegen und Kolleginnen müssten trotzdem Gynäkologin oder Gynäkologe werden können.

Vor sechs Wochen hatte die rot-rot-grüne Koalition in einem Antrag an die Bürgerschaft beklagt, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nicht zur Mediziner*innenausbildung gehören und vermutet, dass deshalb immer weniger Ärzt*innen bereit sind, die Leistung anzubieten.

Ein Ausbildungsdefizit hat auch die Vorsitzende des Bremer Berufsverbandes der Frauenärzt*innen, Kerstin Schwarzer, bemängelt. „In der Facharztausbildung spielen Abbrüche kaum und nur in einzelnen Kliniken eine Rolle und wenn, dann fast nur operative“, keine medikamentösen, hatte sie der taz im Juli in einer Mail geschrieben. Und: „Wenn ich als Ärztin keine Kompetenz in einer Tätigkeit habe, kann ich sie schwerlich anbieten.“

Die Antragsteller von SPD, Linken und Grünen fordern den Senat dazu auf, „sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen der Ausbildung an Kliniken die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen gelehrt wird“. Wie er das machen soll – darüber steht nichts in dem Antrag. Denn die Mediziner*innenausbildung ist in der Theorie Sache der Universitäten – und in der Praxis der Ärztekammern. Letztere sehen keinen Handlungsbedarf, weil es nach ihrer Auffassung reicht, wenn angehende Gynäkolog*innen die Techniken anhand von Fehlgeburten lernen.

In Bremen und Bremerhaven ist die Versorgung nicht so schlecht wie in anderen Regionen in Deutschland, in denen Frauen nach taz-Recherchen 150 Kilometer und mehr für einen Abbruch fahren müssen. Dennoch sind auch hier nur wenige Ärzt*innen bereit, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. In Bremerhaven bieten das zwei Ärzte tageweise im Klinikum Reinkenheide an. Einer von ihnen reist aus Bremen an, der andere befindet sich im Rentenalter. Wenn sie krank sind oder im Urlaub oder das Klinikum keine Räume zur Verfügung stellen kann, müssen die Frauen nach Bremen fahren.

Auch das medizinische Zentrum von Pro Familia in Bremen, das 2019 im Land Bremen 85 Prozent aller medikamentösen und operativen Abbrüche durchgeführt hat, hat immer wieder Probleme, Ärzt*innen zu finden. Daneben gibt es niedergelassene Gynäkolog*innen – doch nur drei von ihnen haben sich in die Liste der Bundesärztekammer eintragen lassen, auf der Frauen nach Adressen suchen sollen. In Hamburg sind es acht Mal so viele.

Diese Liste gibt es seit einem Jahr und nur deshalb, weil die CDU im Bund nicht bereit war, den Werbeverbotsparagrafen 219a komplett abzuschaffen, der Ärzt*innen untersagt, sachlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Ganze 327 Praxen und Kliniken hatten sich bis vergangene Woche auf dieser Liste eintragen lassen – dabei gibt es nach Angaben des statistischen Bundesamts fast vier Mal so viele, die Abtreibungen durchführen.

„Für mich persönlich gehört das zu meinem Beruf dazu“

Carsten Oberhoff, Chefarzt Gynäkologie Links der Weser

Die Bremer Ärztekammer-Präsidentin Gitter vermutet, dass viele Kolleg*innen Angst vor Nachstellung durch Fundamentalist*innen haben, die Ärzt*innen in sozialen Medien angreifen und Mahnwachen vor Praxen abhalten. Diese Sorge verstehe sie, sagt sie. Nicht aber, dass viele kommunale Kliniken auf der Liste fehlen. Auch die Bremer Kliniken der städtischen Krankenhausgesellschaft Geno stehen nur auf einer anderen, ebenfalls unvollständigen Liste: Auf der Homepage der Gesundheitssenatorin – die diese schon 2018 veröffentlicht hatte.

An den Kliniken im Land Bremen fanden im Jahr 2019 nach Angaben des statistischen Bundesamts 60 stationäre und 176 ambulante Schwangerschaftsabbrüche statt, davon 66 nach der 14. Schwangerschaftswoche.

Konfessionelle Kliniken machen nur ausnahmsweise Abtreibungen, daher finden diese in der Regel an den Geno-Kliniken Nord und Links der Weser sowie zukünftig Mitte statt. „Wir machen das, wenn uns Frauen oder Niedergelassene ansprechen“, sagt Carsten Oberhoff, Chefarzt der größten Geburtshilfeklinik Links der Weser. Aber auf der Homepage steht davon nichts, obwohl der Klinik das mittlerweile erlaubt wäre. „Es ist einfach ein sehr kontroverses Thema“, sagt Oberhoff.

„Für mich gehört das zu meinem Beruf dazu, aber es gibt Kollegen und Kolleginnen, die das nicht wollen und die müssen das dann auch nicht machen“, sagt Oberhoff. Diese seien am Klinikum Links der Weser in der Minderheit, sodass es keine Engpässe gebe. Deshalb könne zumindest an den Geno-Kliniken auch nicht von einem Ausbildungsdefizit die Rede sein. „Wir machen sowohl den chirurgischen als auch den medikamentösen Abbruch und geben das Wissen auch weiter.“